Yingpei - Chronik 6

So viel zum Thema "ruhige Reise"

--- Mannschaftsmesse

Was hier vor sich ging, war Collins nicht geheuer. Liebend gern hätte er das 'Problem' beseitigt. Er konnte nicht glauben, dass ein Androide Respekt verlangte, schon gar nicht, wenn er sich wie eine Furie benahm. Als Mensch wäre er ein Fall für den Psychiater, als Roboter ein Fall zum Recyceln.

Er schüttelte sich innerlich. 'Ach ja, Psychiater', dachte er. Sehr widerwillig musste er die Lage akzeptieren. Silvanas Reaktion nach, schien sie dem Koch eine Chance geben zu wollen, trotz der Steakaktion. Jack ließ nur zögerlich die Waffe sinken.

"Ok, du verlangst also Respekt?", sagte er zu Jacques. "Gut, dann beweise, das du diesen Respekt wert bist. Und ..." Collins lag noch eine scharfe Warnung auf der Zunge, doch er behielt sie für sich. Dieser Androide würde sich gewaltig bemühen müssen, um den ganzen Respekt des Psychologen zu erlangen.

Die Tatsache, dass Jacques ein Roboter war, würde die Sache fast unmöglich machen. Aber gut, alle schienen ihm eine Chance geben zu wollen. Er steckte den Blaster zurück ins Holster und ging dann an dem Koch vorbei zu dem Tisch an der Bar. Er war ein wenig genervt und brauchte etwas zu trinken.

--- Tisch an der Bar

Er setzte sich an den Tisch und blickte auf das rohe Stück Fleisch vor ihm. Ach ja, Essen wäre auch nicht schlecht. "Ich hätte es gerne ein wenig mehr durchgebraten, bitte!" Jack deutete auf das Steak.

Am liebsten hätte der Android geantwortet, "Dann halt doch deinen Scheiß-Phaser drauf, Du Möchtegerncowboy!", aber natürlich gewannen seine Haltung und sein angeborener Instinkt für Manieren Oberhand.

Er wusste ja, wie man Frieden hielt...

Er wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen, als seine Umwelt um ihn herum... verblasste. Er hätte es nicht anders formulieren können.

Stattdessen wurde sein gesamtes Sichtfeld nun von einer satten, blauen Farbe erfüllt, auf der weiße Buchstaben flimmerten:

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Schwerer Ausnahmefehler in &%$§@#§³ß*&%°!?&%$§

Systemneustart

Bitte warten

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'Was zum Teufel soll dass denn wieder nu...', dachte er noch. Weiter kam er nicht.

JACQUES.EXE angehalten..........................................[OK]

Prozess JACQUES beenden.........................................[OK]

WARTE _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

--- Mannschaftsmesse, Nähe Tisch 9

Aufmerksam hatte Juna beobachtet wie der Roboter durch die Messe getobt war und sich mit fast jedem, der ihm über den Weg kam, angelegt hatte. Kampfbereit stand sie zwischen der Konfliktzone und ihrem Herrn, bereit jederzeit einzuschreiten, wenn ihm Gefahr drohen sollte. Wenn er nicht im gleichen Raum gewesen wäre, hätte sie den Unterhaltungswert dieser Szene vielleicht zu schätzen gewusst.

Mit Verblüffung sah die Orionerin, wie Silvana trotz der dreisten Beleidigung die Beherrschung wahrte und den Koch nicht in ein Ersatzteillager verwandelte, sondern es bei einer Standpauke beließ.

Äußerlich entspannte sich die grünhäutige Frau etwas, blieb aber wachsam und hielt vor allem noch den Blaster im Auge, bis er wieder von dem hochgewachsenen Blonden weggesteckt wurde.

Undeutlich hatte sie gehört, wie die katzenhafte Kämpferin per Intercom kontaktet wurde. Juna meinte die Stimme Petes zu erkennen. Es schien wichtig zu sein. Schade, dabei hatte sie sich nach der vielversprechenden Vorspeise auf das Essen gefreut.

Die Sklavin drehte sich zu Kwhiro, "Brauchst du mich noch, Herr? Pete scheint Probleme zu haben." Ihr Besitzer schüttelte den Kopf. "Geh nur", und gab ihr einen Klaps mit auf den Weg.

Juna ging zu Silvana hinüber. "Hast du etwas dagegen, wenn ich dich in den Frachtraum begleite? Ich wüsste gerne, was da unten los ist." '... und warum sich Pete damit nicht an mich wendet.', fügte sie in Gedanken hinzu.

--- Mannschaftsmesse, Tisch 6

'Oh, das Spektakel ist offensichtlich zu Ende', dachte Gianna ein wenig enttäuscht, als der Androide plötzlich wieder so gelassen da stand und sich der große Blonde von ihrem Tisch entfernte.

Das war ihr jetzt aber zu langweilig. Wer wollte schon alleine an einem Tisch sitzen und darauf warten, dass die Gesellschaft (wieder) zu ihm kam? Nein, sie wollte hier nicht sitzen bleiben wie ein Mauerblümchen...

Also erhob sich die Italienerin, warf dem Androiden noch ein Lachen zu sowie einen traurigen Blick in ihr leeres Glas. Nachdem sie ihr Gleichgewicht gefunden hatte - zumindest einigermaßen - ging sie mit beschwingtem (wenn auch etwas wankendem) Schritt zum Tisch an der Bar.

--- Mannschaftsmesse, Tisch an der Bar

"Hallo, Großer, darf ich mich zu dir setzen?", fragte sie Collins mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern ließ sich einfach auf einen Stuhl fallen. "Ich bin Gianna!"

"Gianna", sagte Jack freundlich. "Natürlich durftest du dich setzen. Ich bin Jack, Jack Collins um genau zu sein. Ich bin der amtierende Schiffspsychologe." 'Eventuell Captainekiller!', fügte er in Gedanken hinzu. Er hatte Gianna beobachtet, wie sie sich auf dem Weg zu seinen Tisch gemacht hatte, an Jacques vorbei gegrinst war, der immer noch scheinbar ein wenig verwirrt im Raum stand.

Aber im Moment war Gianna eine willkommene Abwechslung und Jack entspannte sich ein wenig. Er blickte ihr ins Gesicht, das durchaus sehr attraktiv war, wäre da nicht dieser leichte Silberblick, der bestimmt nicht angeboren war. Und Jack musste fast lachen, sie sah richtig süß aus mit dem dunklen Haar und ihrem Blick.

Andererseits war es nicht lustig, was Giannas Tischkollege mit ihr vorgehabt hatte. 'Die Kleine hat ganz schön einen sitzen', dachte er und plötzlich fiel ihm ein, dass die Dunkelhaarige sich am Anfang ziemlich schüchtern benommen hatte, ganz das Gegenteil von jetzt.

Und in einer so kurzen Zeit konnte man kaum betrunken werden, es sei denn, man konnte das Zeug wirklich nicht ab, oder es war noch mehr im Spiel. Collins beugte sich vor und sah Gianna in die Augen. Das Licht in der Messe war ziemlich hell. Ihre Pupillen waren erweitert. Das und die Art, wie sie sich verhielt, ließen zunächst einmal Drogen vermuten.

Man musste mit einem solchen Verdacht vorsichtig sein. Vielleicht zog sie sich ja auch gerne mal was rein. Aber nach der Art, wie Giannas dunkelhaariger Tischnachbar vorhin das Weite gesucht hatte, traute Jack ihm noch einiges mehr zu. "Sag mal Gianna, dein Freund, der sich vorhin im wahrsten Sinne des Wortes verpieselt hat. Gab's da irgendwelche Probleme?"

"Probleme?", mit großen Augen blickte Gianna Collins an. Dann wanderte ihr Blick zurück an den Tisch, an dem sie vorher noch gesessen hatte. Die leere Flasche Blutwein stand noch dort, außerdem die Überreste eines reichhaltigen Frühstücks. 'Ach ja, Ben', erinnerte sie sich dann und lächelte breit.

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf ihr Gegenüber. Der Blonde sah wirklich nett aus. Ob er wohl wusste, dass sein Körper schwankte, auseinander floss und sich wieder zusammensetzte?

Wirklich lustig... Wie machte er das nur?

Dann erinnerte er sich wieder daran, dass er ja etwas gefragt hatte. Irgendwas wegen Ben... Die Italienerin zog ihre Nase kraus, während sie überlegte, was es gewesen war. Dann fiel es ihr wieder ein.

"Probleme?", wiederholte sie sich und lächelte. "Nein, Jack, keine Probleme.", Gianna fuhr sich mit der rechten Hand durch ihr ohnehin schon wild in alle Richtungen abstehendes Haar. Sie blickte überlegend zu Jacques hinüber. "Aber das Zeug, das er mir eingeschenkt hat, war nicht übel. Meinst Du, Jacques hat davon noch etwas?", fügte sie hoffnungsvoll hinzu.

--- Mannschaftsmesse, Nähe Tisch 9

Für einen Moment lang war Silvana einfach nur desorientiert herumgestanden und hatte damit gezögert, die Mannschaftsmesse zu verlassen, obwohl sie sofort hatte gehen wollen. Es störte sie eigentlich weniger, diesem Chaos - und somit auch Jacques -  zu entkommen, als vielmehr der Gedanke, warum sie Pete so verdammt zahm geantwortet hatte, anstatt ihm zum Teufel zu schicken, und was war ihr nur dabei eingefallen, einen Androiden mit Worten umstimmen zu wollen, anstatt ihn erst zu grillen und dann Zesiro von dem "Unfall" zu berichten?

Gott, wurde sie langsam alt und nachlässig? Oder hatte man sie damals im Labor...? Wieder zogen schemenhafte Bilder der Verwüstung vor ihrem geistigen Auge vorbei. Blut, Leiber, Tod... Ein dröhnender Schmerz bohrte sich in ihren Kopf, und als sie kurz die Augen schloss und sie wieder öffnete, befand sie sich in der Mannschaftsmesse der Yingpei und blickte auf Juna, die sie mit großen Augen fragend anblickte.

Es dauerte einen weiteren Augenblick, bis ihr bewusst wurde, dass diese eine Frage an sie gestellt hatte und in ihrem Geist hallten die letzten gehörten Worte nach...

"Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn du mitkommst. Du stehst wenigstens nicht im Weg herum und packst einfach an, ohne dass man dir großartig Anweisungen geben muss. Du kannst denken." Ihr Blick fiel auf Tom, der anscheinend überlegte, ob er jetzt wirklich Messer und Gabel benutzen oder sich mit dem Koch anlegen sollte, damit der ihn weiter fütterte. "Ich wünschte, meine Männer hätten mehr Kampfgeist, obwohl sie dann wohl auch nicht so einfach zu dressieren gewesen wären..." Das flüchtige Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, und ihre Augen verengten sich, als sie feststellte, dass die Kleine des Arztes nun zu Jack übergewechselt war. Ein leises Knurren löste sich aus ihrer Kehle.

Die Kleine schien nichts anbrennen zu lassen, auch wenn die Raubtierlady sie vorher gar nicht richtig wahr genommen hatte. Ein Fehler, wie es schien, wie so oft täuschte der erste Eindruck. Nun, wo sie sich in den letzten Monaten mit der Anwesenheit einer fast nackten Liebessklavin in ihrem Revier hatte abfinden müssen, nach der sich alle Männer an Bord die Hälse verrenkten, tauchte weitere unliebsame Konkurrenz auf.

Die Fahrt stand unter keinem guten Stern.

Die Orionerin freute sich über Silvanas Lob. Es hatte eine Weile gedauert, bis diese herausfand, dass sich hinter der halbnackten und folgsamen Sklavin auch noch eine nicht zu unterschätzende Kämpferin verbarg.

Juna folgte dem Blick der Raubtierlady und stieß auf das erbärmliche Wesen namens Tom, der es nur Kwhiro zu verdanken hatte, dass er sich noch an einer Mahlzeit erfreuen konnte. Mitfühlend legte sie eine Hand auf Silvanas Schulter.

"Vielleicht solltest du das nächste mal etwas anspruchsvoller sein und uns etwas intelligentere Söldner gönnen. Das würde nicht nur die Sicherheit der übrigen Crew erhöhen, ich könnte mir auch vorstellen, dass es so viel reizvoller sein könnte, sie zu dressieren.", meinte die grünhäutige Frau leicht schmunzelnd.

Der leise, missmutige Knurren Silvanas war ihr nicht entgangen. Aufmerksam sah sich Juna in der Messe um und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass dieser Laut der ängstlichen Frau galt, die vorhin noch beim Arzt saß. Nur wirkte diese inzwischen wie ausgewechselt. Ihr Lachen füllte den Raum. Sie saß nun bei Collins, an dem sie reges Interesse entwickelt zu haben schien.

Nur durch die Tatsache, dass Silvana Juna mochte, hatte sie sich überhaupt von ihr berühren lassen. Doch der Grund für diese Berührung lag im Dunkeln. War es eine rein freundschaftliche Geste, oder sollte es gar eine Art Trost sein? Trost wofür? Für die einfältigen Söldner an Bord oder den Psychologen, der sie so schnell links liegen ließ?

Mit Freundschaft konnte Silvana umgehen, auch wenn sie bisher selten das Vergnügen gehabt hatte. Denn eine richtige Freundschaft konnte es auf Dauer doch nur zwischen Frauen geben. Mit Männern hatte man einfach Spaß oder auch Sex. Manchmal auch beides. Doch es war wie hochprozentiger Alkohol. Flüchtig und nur kurz berauschend.

Lediglich bei Classic wusste sie nicht, was sie mit ihm verband. Es war eine Art Seelenverwandtschaft. Das Gefühl, einen Vertrauten in der Fremde gefunden zu haben. Einen Gleichgesinnten. Und zugleich zog sie seine Unnahbarkeit und Gegenwart in seinen Bann, und sie verspürte ein Prickeln auf ihrer Haut, wenn sie sich zufällig berührten.

Silvana konzentrierte sich wieder auf Junas letzte Worte. Da sie sich nicht schlüssig war, welchen Zweck nun die Geste hatte, schüttelte sie die Hand einfach beiläufig ab, um nicht den Anschein zu erwecken, Mitleid nötig zu haben oder Junas Freundschaft nicht zu wollen.

"Ich würde nie Söldner einstellen, die nicht die Sicherheit der übrigen Crew erhöhen. Sie mögen einfach gestrickt sein, doch sie erfüllen ihren Zweck. Da sie nur Befehle von Zesiro und mir befolgen, können sie keine Dummheiten anstellen. Und wenn ich ihnen sage 'Springt!', dann fragen sie nicht erst wie hoch, sondern tun es einfach, was sie auch zu gefährlichen Kampfmaschinen macht. Intelligente Söldner schützen in erster Linie ihr Leben. Und Helden, die es nicht tun, sind einfach zu teuer." Ihre Augen fixierten noch einmal Gianna, bevor sie sich dem Ausgang zuwandte.

"Was aber nicht bedeutet, dass wir nicht die nächste Gelegenheit nutzen werden, uns auch mal was fürs Auge zu gönnen. Oder hast du dir schon etwas gegönnt, und Pete holt mich, um mir von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu erzählen?" Sie bleckte lachend die Zähne, während sie Richtung Tür schritt.

--- Mannschaftsmesse, Tisch an der Bar

Jack folgte Giannas Blick. "Ich fürchte, Jacques hat im Moment eine Menge zu tun", sagte er. 'Auch mit sich selber', dachte er weiter und wandte sich wieder an Gianna. Vielleicht war es besser, wenn sie jetzt keinen Alkohol mehr zu sich nahm.

Jacques schien auch noch keine Zeit zu haben, außerdem wollte Collins die 'Nerven' des Androiden nicht weiter strapazieren. Noch war nicht klar, wie er sich weiter verhalten würde. Und Jack war sich nicht wirklich sicher, wie der Koch sich jetzt weiter verhalten würde.

Vor ihm auf dem Tisch lagen immer noch das rohe Steak und das PADD mit der Bedienungsanleitung für den Replikator. Der Psychiater sah sich um, ein Stück weiter ragte aus der Wand eine Replikatorkonsole. Das war eine Gelegenheit, auf langsamen Drogenentzug umzusteigen.

"Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem Kaffee?", fragte Jack. "Ich meine, bis Jacques so weit ist, könnten wir uns ja bei einer Tasse weiter Unterhalten." 'Und du könntest langsam wieder ein wenig klarer werden', beendete er den Satz in Gedanken.

"Kaffee?", echote Gianna diesmal. Seltsam - warum eigentlich wiederholte sie ständig Wörter von anderen, als wäre sie ein Papagei?

Papagei - die Vorstellung brachte sie wieder zum Kichern. Als sie sich wieder gefangen hatte, meinte sie zu Jack: "Ja, ein Kaffee wäre bestimmt das Richtige jetzt!"

--- Mannschaftsmesse

Aktivierung der Gedächtnisprotokolle............................[OK]

Durchsuchen der Identitätsdatenbank.............................[OK]

Lade JACQUES.EXE................................................[OK]

Abgleichen der externen Sensorikdaten mit JACQUES...............[OK]

Systemzeit: 2 Minuten

           12,02027598230746325184112494763701 Sekunden START!

***

Jacques schaute sich um.

Irgend etwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Hatte er wieder einen dieser unerklärlichen Filmrisse gehabt?

Die Begleiterin von Hawkeye war inzwischen zur Begleiterin vom Möchtegerncowboy mutiert.

Die beiden saßen an der Bar.

Juna stand am Ausgang neben Silvana, und Khwiro hatte sich inzwischen wieder an seinen Platz gesetzt.

An keine, aber auch rein gar keine von diesen Handlungen konnte Jacques sich erinnern. Und doch hatten sie definitiv stattgefunden, denn die derzeitige Situation, wie sie sich Jacques präsentierte, war nun mal so, wie sie war.

Die einzige Konstante war Tom, der noch immer, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, hochkonzentriert und ungeschickt zugleich versuchte, das zu tun, was er sich unter dem ordnungsgemäßen Gebrauch von Messer und Gabel vorstellte. Das Ergebnis war so erbärmlich, das Jacques versucht war, aus Mitleid das Besteck wieder tief in den Braten zu rammen und Tom somit seine Haltegriffe wiederzugeben. Aber das ging natürlich nicht.

Merde, diese Filmrisse! Die machten ihm Angst, zumal sie immer häufiger kamen. Nun schon zwei Mal in zwei Minuten!

Das war einsamer Rekord.

Er würde sich wirklich einen Psychologen suchen müssen. Aber erst mal musste er weitermachen. Bedienen. Sein Stand bei der Crew war schon so schwer genug, weitere Probleme konnte er nicht brauchen.

Kurz schaute er in Richtung Silvana und Juna, die beide so aussahen, als wollten sie Anstalten machen, die Mannschaftsmesse zu verlassen.

Wenn das so wäre, dann hätten zusammen mit Hawkeye hatten nun schon drei Kunden bestellt und nicht gegessen. Naja, Hawkeye mochte wiederkommen, wenn er erfuhr, dass doch kein Arzt benötigt würde...

Der Android wandte sich nun dem großen Blonden neben der angeheiterten Frau zu.

--- Tisch an der Bar

"Verßei'ung, der 'err, isch fürschte, isch 'abe 'ier etwas verlorön!", der Android nahm mit einer galanten Geste das Steak und die Replikatoranleitung an sich, "Isch werdö sofort den Tisch säubörn, der 'err! 'abön Sie noch einen Wunsch?"

Da war er ja, der Androide mit diesem seltsamen Akzent. Also konnte Jack sitzen bleiben, das war ja nicht so schlecht. Gianna hatte entschieden etwas dagegen, dass ihr ihre Tischnachbarn ständig davon liefen.

"Jacques", sie lachte den Androiden fröhlich an, "ich hätte gerne einen Caffé corretto!"

Collins runzelte die Stirn. 'Kaffee was?', dachte er. Mit so etwas konnte er jetzt auf Anhieb nichts anfangen. Er kannte nur Kaffee, mit Zucker oder Milch, oder Whiskey.

Der Blick des Psychologen fiel nun auf Jacques. 'Ok, Disziplin Collins! Und Respekt!', der Terraner schüttelte sich innerlich. Aber gut, der Androide sollte seine Chance bekommen. "Ich nehme erst einmal das gleiche. Danach würde ich gerne so ein Steak haben, medium bitte. Zum Steak hätte ich... gerne ein Bier."

Der Terraner war so freundlich, wie er konnte. Zu Gianna gewandt, sagte er: "Du hast vorhin schon mit deinem Kollegen gegessen, wie, sagtest du, heißt er? Ben? Wo bleibt er eigentlich?" 'Scheint eine große Blase zu haben.', dachte er zu Ende.

Gemütlich lehnte sich Gianna zurück und begann, mit dem Stuhl zu kippeln. Sie warf einen Blick zu der Türe, durch die der Arzt verschwunden war, daraufhin wandte sie sich wieder ihrem Tischnachbarn zu.

"Ja, er heißt Ben", bestätigte sie, "er nennt sich aber auch Hawkeye.", sie grinste breit, denn diesen Spitznamen fand sie wirklich urkomisch.

Sie beendete die Kippelei, beugte sich wieder vor, und raunte dem großen Blonden zu: "Er ist der neue Arzt, weißt du? Ich muss herausfinden, ob er ein guter Arzt ist", fügte sie dann freimütig, aber mit nachdenklichem Unterton hinzu.

"Und wenn das Steak und der Caffé so gut sind wie mein Frühstück vorhin...", Gianna ließ ihre Worte in der Luft verhallen und warf einen auffordernden Blick in Richtung des Androiden, der irgendwie jetzt langsamer zu sein schien als vorher...

--- Mannschaftsmesse, Theke an der Bar

"Sehr wohl, die 'errschaften". Der Android verbeugte sich leicht und überlegte, während er in die Küche ging.

--- Küche

Caffé corretto... Dazu bräuchte er hochprozentigen Alkohol. Aber das einzig Hochprozentige, auf das er derzeit Zugriff hatte, hatte das Potential, die Frau erblinden zu lassen, zumal sie augenscheinlich schon alkoholisiert genug war.

Jacques hätte es nie gedacht - aber in dieser Situation würde er in der Tat einmal mit Freuden auf den Replikator zurückgreifen. Der konnte Synthehol-Grappa herstellen, und durch den Espresso als Basis war es völlig unmöglich, einen Unterschied festzustellen. Natürlich nur dann, wenn man nicht zufällig Jacques de la Cuisine hieß. Aber in dieser Crew würde er wohl kaum derart trainierte Gaumen finden.

Das Bier für den Phaserhelden war da schon eine härtere Nuss. Jacques hatte in der Bar kein Bier finden können.

Wo konnte nur...

Da kam ihm eine Idee. Er befragte die Konsole an der Wand, wo in dieser Küche das Grillzubehör gelagert wurde.

Und - Treffer! - neben Holzkohle und Grillanzünder lagen das tatsächlich drei Flaschen Bier. 'Grillen darf nicht gesund sein', dachte er triumphierend. Auf die Sitte mancher Griller, Bier auf das Steak zu kippen, konnte man sich doch immer verlassen.

Das indische Gericht für Khwiro bedurfte nur noch ein paar kleiner Handgriffe, und das Steak war auch schnell mariniert.

Jetzt noch einen Espresso vorbereitet und den "Grappa" synthetisiert, dann konnte er servieren.

--- Mannschaftsmesse, Eingang

Zufrieden mit sich und der Welt trat Hawkeye wieder in die Mannschaftsmesse. Diese hatte sich erstaunlich geleert und leider gab es auch keinen "getoasteten" Toaster. Achselzuckend wandte er sich in Richtung Bar. Der Pistolenheld schien ein neues Ziel "anvisiert" haben. Nicht ungewöhnlich, wusste Ben doch aus dem Krieg, wie diese Pistoleros tickten.

Mit einem kleinen Seufzen setzte er sich in Bewegung. Er konnte Gianna in diesem Zustand nicht alleine lassen. Obwohl dem Arzt auf der Toillette klargeworden war, dass sein letzter Besuch in einem Bett fast genauso lang her war, wie der auf einer Örtlichkeit. Wenn ihm der Schlaf auf diesem Schiff nur halb so gut tat, wie die Erleichterung eben, würde er wundervoll schlafen.

--- Mannschaftsmesse, Tisch an der Bar

"Hallo zusammen, da bin ich wieder!", begrüßte er die Beiden, nachdem er sich von seinem Tisch das restliche Frühstück geholt hatte. Mit klarem Blick musterte Hawkeye sein gegenüber, wie dieser auch ihn. Beim Blick in dessen Augen hatte Ben kurz das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen, in eine gebrannte Seele, wie die seine.

Auf jeden Fall war er kein Vergleich zu den normalen stumpfen Söldnern. Hinter Jacks Augen verbarg sich eine Tiefe und eine Geschichte. Irgendetwas verbarg dieser Mann und machte ihn so, wie er war. Widersprüchlich, aber nicht ungewöhnlich. Aber auf jeden Fall würde es sicher die Mühe wert sein, ihn nicht direkt abzustempeln.

"Hi, ich bin Hawkeye, der hiesige Arzt.", mit diesen Worten streckte er diesem seine Hand entgegen. Der Psychologe erwiderte die Vorstellung.

"Caffè corretto, si, so heißt das", mit der korrekten italienischen Betonung des Wortes antwortete Gianna dem Blonden. "Es ist eine italienische Spezialität, ich kann das nur empfehlen", fügte sie, an Hawkeye gewandt,  in einem Tonfall hinzu, als hätte sie das Getränk selber erfunden.

"Aah... Kaffee ist eine gute Idee für dich!", lächelte Ben die Italienerin an. Er hatte zwar keine Ahnung, was für eine Sorte das sein sollte, trank er seinen doch immer schwarz, aber es war auf jeden Fall besser als irgendwelcher Schnaps.

Was natürlich nicht heißen sollte, dass er darauf verzichten würde.

"Hey... Jacques", der Amerikaner wollte nicht unhöflich wirken, wenn selbst der Beinahe-Schütze den Toaster beim Namen nannte. Er hatte offensichtlich Interessantes verpasst.

"Ich hätte noch gerne einen guten Whisky...", jetzt wandte er sich wieder Jack zu, "Ich hoffe Gianna hat dir nur Gutes über mich erzählt...", grinsend fügte er hinzu, "schließlich kennen wir uns schon gut 15 Minuten..."

Das Kichern von Gianna ließ ihn erst belustigt und dann mit ein bisschen sorgenvoll auf die Italienerin blicken. Trotz seiner Müdigkeit hatte er auf der Toilette über die Nebenwirkungen von Alkohol und Drogen nachgedacht.

Das große Problem war einfach, dass er nicht wusste, was genau diese Blätter enthielten. Die Bandbreite der Szenarien ging von einem riesigen Kater bis zur schleichenden Vergiftung.

Einmal mehr nahm er sich vor, sich weiter auf den aktuellen Stand der Medizin zu bringen. Auf einem von einem Bürgerkrieg zerrütteten Planeten oder beim bloßen Überlebenskampf auf der Suche nach einem neuen Job ließ es sich schlecht entspannt studieren.

"Ich möchte nicht indiskret sein, aber als Psychologe machst du mindestens einen genauso merkwürdigen Eindruck, wie ich als Arzt...", sprach er Jack wieder an, während er sich nebenbei seinem Frühstück widmete, "Ich hoffe, die Leute werden auf der Couch nicht auch mit dem Blaster bedroht, wenn sie nicht spuren..."

Hawkeye wirkte ein wenig abgeschlagen. Sein Alkoholpegel schien zu sinken. Jack vermutete, dass er einmal ein sehr guter Arzt gewesen war, der irgendwann auf die schiefe Bahn gekommen war. Vielleicht sogar wegen seiner offensichtlichen Alkoholprobleme.

"Eigentlich kommen die meisten freiwillig zu mir, wenn welche kommen. Da brauche ich natürlich nicht mit der Waffe herumzufuchteln", antwortete Collins. "Manchmal gibt es allerdings Dinge, die mir persönlich die Galle hochtreiben. Und das sind unter anderem Androiden, bei denen die Sicherungen anfangen, durchzubrennen."

Der Blick des Psychologen ging zum Durchgang zur Küche. "Wie du weißt, haben diese Maschinen keine Seele, und somit kann auch ein Psychologe ihnen nicht wirklich helfen. Dann hilft eben manchmal nur noch ein Blaster."

"Das musst du mir nicht sagen", entgegnete Hawkeye, darauf bedacht, dass der Androide nichts mitbekam. Nicht, dass es doch noch nötig wurde, ihn zu erschießen, was wirklich schade wäre, da sein Essen das Beste war, was er seit Jahren gegessen hatte. "Ich misstraue diesen sprechenden Toastern aus Prinzip. Es gibt nicht Schlimmeres als Maschinen mit eigener 'Intelligenz', die Amok laufen..."

Kurz blitzten ein paar Erinnerungsfetzen von Elarge vor dem geistigen Auge des Schiffsarzt auf, und Ben fragte sich, wo der Alkohol blieb. "Aber bei dem speziellen Fall kannst du vielleicht doch was ausrichten. Wenn es jemandem mit einer Macke hier an Bord gibt dann ihn und weigern wird er sich bestimmt auch nicht. Ich hingegen", sprach der Amerikaner mit einem kurzen Seitenblick zu Gianna, "muss meine Patienten erstmal überzeugen, dass ich ihnen etwas Gutes tun will."

"Gutes tun?", fragte der Psychologe und blickte zu Gianna, die aufmerksam zuhörte und sich scheinbar über alles freute. Er fragte sich, wie viel sie wohl schon getrunken hatte. Einerseits ging es ihm ja auch nichts an. Vielleicht gab es ja bei den Beiden was zu feiern.

Oder war es eine eigenwillige Behandlung? Versuchte Hawkeye Gianna vom Trinken zu heilen? Oder versuchte er Gianna mit Alkohol zu etwas zu überreden? "Ich bin kein Arzt, und ich will mich auch nicht einmischen, aber... ich schieße nicht auf meine Patienten, und ich hoffe, du willst Deine nicht mit Alkohol oder anderen Sachen 'überzeugen'?!

Verstehe mich nicht falsch Doc, aber vorhin hatte ich den Eindruck, Gianna wurde innerhalb kürzester Zeit... lustig, wenn man das so sagen kann."

Belustigt blickte Hawkeye zu Gianna, die sein Grinsen freudig erwiderte, bevor er sich Jack wieder zuwandte. "Keine Sorge, ich wollte die Kleine nicht 'zugänglich' machen. Die Auswirkungen des Bechers Blutwein waren auch für mich... leicht überraschend.". Den Umstand, dass die Italienerin nicht nur Alkohol im Blut hatte, verschwieg er aus Rücksicht auf sie. Und seine Reputation, schließlich wusste er eigentlich davon. "Eigentlich wollten wir unseren Einstand feiern. Da mir aber eben aufging, dass ich seit einiger Zeit nicht mehr geschlafen habe und irgendwann auch mal duschen wollte, schlage ich mir jetzt die Zeit um die Ohren, bis sie nüchtern oder müde wird."

Müde er blickte zu Gianna, die Ausschau nach dem Androiden zu halten schien und erwiderte ihr Lächeln mit einem Grinsen, als sie seinen Blick bemerkte und zu ihm schaute. So schnell sie wieder wegschaute, verschwand auch wieder das Grinsen. "Da sie aber leider wohl erst vor drei Stunden aufgestanden ist, muss ich aufs Erstere warten, wenn wir nicht das Risiko eingehen wollen, dass ihr jemand anderes ein 'Zimmer' anbietet..."

Neugierig blickte die Italienerin zu Ben hinüber. "Ein Zimmer?", wollte sie mit einem fragenden Augenaufschlag wissen, "Wer sollte mir denn ein Zimmer anbieten?

Ich habe doch schon eines. Hat ein wenig seltsame Beleuchtung, aber ich hoffe, dass ich das schon in den Griff bekommen habe... Ist ansonsten nicht übel. Hat immerhin ein ganz normales Bett. Das ist mal was anderes als ein Lager aus Fellen..."

Kurz sinnierte sie über die primitive Bettstatt nach, die noch vor einer Weile ihr 'Zuhause' gewesen war. Aber der Gedanke ließ sich nicht festhalten.

Wo blieb der Caffé?

Kurzerhand stand Gianna auf. Nachdem sie das Schwanken der Einrichtung in den Griff bekommen hatte - was war das nur für ein seltsames Schiff, in dem sogar die Messe schwankte? - ging sie die wenigen Meter zum Durchgang zur Küche. Ihr Hinken, durch das Acala beruhigt, wurde durch ihre Trunkenheit jedoch wieder verstärkt, was Gianna indes nicht bemerkte.

Kurz steckte sie den Kopf in die Küche und rief: "Jacques, wo bleibt unser Caffé?!", dann zog sie ihn, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder zurück und marschierte zügig - wie sie meinte - zurück zu den beiden Männern.

Nachdem sie sich wieder hatte auf ihren Stuhl fallen lassen, meinte sie: "Was guckt ihr so? Ich habe nur der Bestellung nachgeholfen!!"

Erstaunt sah der Psychologe Gianna an. "Mag sein", sagte er, "aber ist dir vorher der Fuß eingeschlafen oder hast du dich irgendwie verletzt? Du schwankst ganz schön beim Laufen. Das kann doch nicht nur der Blutwein gewesen sein."

Hier war was nicht richtig. Irgendwas passte nicht zusammen, und Collins überlegte, was. Als er in die Messe hereinkam, war Gianna noch ruhig gewesen, extrem ruhig. Leider hatte er nicht alles mitbekommen. Nur, das sie sich Anfangs richtig verkriechen wollte. Und jetzt war sie offen, selbstbewusst, und... na ja, betrunken.

--- Brücke

Zufrieden betrachtete der Mann im Trench die leuchtend blaue Linie, die den derzeitigen Standort der Yingpei mit dem System Pinea verband. Eine Datenanzeige ergänzte die ermittelten Flugdaten. Zufrieden nickte er und schob die virtuelle Realität zur Seite.

Er wandte sich um, während hinter ihm der Flugplan auf dem Hauptschirm angezeigt wurde:

"Ich habe eine Route, Zesiro, bei Warp fünf brauchen wir circa neun Tage für die Strecke. Etwa zwei Tage verlieren wir durch die Ausweichstrecken. Damit sind wir immer mindestens ein Drittel Lichtjahr von den uns bekannten Patrouillen weg, das sollte unauffällig genug sein. Zumindest auf Basis der Routen, die wir momentan kennen. Das Schiff ist startbereit, wir können jederzeit ablegen."

Zesiro überflog den Flugplan mit Interesse, aber ohne große Aufmerksamkeit. Es handelte sich schließlich nur um Routine. Und Classic gehörte zu den Leuten an Bord, die in der Regel wussten, was sie taten.

"Alles klar", sagte sie, "Dann mal los."

Automatisch griff sie nach der nächsten Konsole, um sich festzuhalten. Die Yingpei war ein altes Schiff. Selbst der beste Pilot konnte nicht verhindern, dass sie manchmal ein bisschen ruckelte. Immer dann, wenn Kwhiro mit den Trägheitsdämpfern spielte und niemandem bescheid gab.

Ein Grinsen schlich in ihr Gesicht. Sie würde es natürlich nie zugeben, aber sie liebte ihre Chaotencrew eben heiß und innig.

Routinierte Aktivität begann auf der Brücke, die jedem Start voran ging. "Yingpei an Profitbrunnen", war Sams Stimme aus dem hinteren Teil der Brücke zu hören, "Erbitten Starterlaubnis und Ausflugvektor."

Währenddessen aktivierte Classic das Flugleitsystem des Schiffes und brachte die Schiffssysteme online. Nach und nach bekam er Grünsignale von allen Stationen. Ein dumpfes Donnern rollte kaum über der Wahrnehmungsschwelle eines Menschen durch das Schiff, als die Impulsaggregate und der Reaktorkern zum Leben erwachten. Mehr zu spüren, als das man es hören konnte.

Die Station und ihr Umfeld, angereichtert mit den Daten der Kurzstreckensensoren, erschienen im Blickfeld des Piloten. Daneben erschienen Statusanzeigen aller Primärsysteme, während er die aktive Kontrolle des Schiffes übernahm.

Die gelangweilte Stimme eines Ferengi war aus den Lautsprechern zu hören: "Yingpei, Starterlaubis erteilt, Abflugvektor Gamma-zwo-sieben." Ein rot umrandeter Kanal entstand sofort in der virtuellen Sicht Classics. Ein kleiner Moment der Konzentration verging, dann begann Classic mit dem Manöver.

Die Andockklammern lösten sich von der Station, dabei scholl mehrmals ein helles Klacken durch die Yingpei. Langsam begann der Bird of Prey unter dem sanften Glimmern des Manöverschubs von der Station wegzudriften. Ein kurzes aufleuchten der unteren Steuerborddüsen hielt das Schiff auf Kurs.

Etwa eine Minute später war genügend Distanz zwischen dem Profitbrunnen und der Yingpei, um ohne Bedenken auf die Impulstriebwerke wechseln zu können.

"Dockposition verlassen, gehe mit Viertel-Impuls auf die zugewiesene Flugbahn, bis wir die Umgebung der Station verlassen haben", meldete er an Zesiro. Aus langer Erfahrung wusste er, dass es besser war, seine Aktionen zu beschreiben.

Er wendete das Schiff in Richtung der zugewiesenen Ausflugschneise und beschleunigte langsam. Für einige Sekunden lief ein leichtes Ruckeln durch das Schiff, bis er Trägheitsdämpfer und Impulstriebwerke wieder aufeinander abgestimmt hatte. 'Wie üblich nach einer mehrtägigen Betriebspause,' überlegte Classic.

Rumpelnde Motorengeräusche waren zu hören, als er die beiden Warp-Gondeln in die horizontale Position brachte. Für den späteren Überlichtflug bedeutete dies den geringsten Energieverbrauch, auch wenn das Schiff so deutlich an Manövrierfähigkeit einbüßte.

"Haben die Umgebung des Profitbrunnens verlassen, gehe auf null-zwo-neun-Punkt-eins-acht, volle Impulskraft bis wir das System verlassen haben. Etwa fünf Minuten bis zum Warpflug", meldete er wieder. Die Beschleunigung des Schiffes war jetzt kaum mehr zu spüren. Einige letzte Änderungen an der Synchronisation der Systeme würden auch dieses Problem endgültig lösen.

--- Mannschaftsmesse, Theke an der Bar

Jack kratzte sich seinen nicht mehr vorhandenen Bart. Warum machte er sich eigentlich Gedanken, schließlich war Gianna alt genug und er wusste praktisch nichts über sie. Also entspannte er sich. "Sag mal Gianna, als was arbeitest du eigentlich hier auf der Yingpei? Vielleicht sollte Ben mal ein Auge darauf werfen", er deutete auf das Bein.

Giannas unglaublich gute Laune schlug blitzartig um. Sie sprang auf, stützte ihre Hände auf die Tischplatte und starrte den Psychologen aus blitzenden dunklen Augen an.

"Madonna, was ist das hier eigentlich für ein Schiff voller Irrer? Ständig fällt einem einer auf den Wecker, bloß weil man nicht ganz so läuft, wie man vielleicht laufen sollte? Erst der Captain, dann der da",-  ein ungeduldiges Kopfnicken zu Hawkeye - , "und jetzt fängst Du auch noch damit an!"

Tränen stiegen ihr in die Augen, die die Italienerin schnell fortblinzelte. Sie setzte sich wieder, sackte in ihrem Stuhl zusammen und stierte frustriert vor sich hin.

Leicht verblüfft blickte Hawkeye erst Gianna an und schwenkte dann mit einem Blick Marke 'was hast du jetzt wieder angestellt' zu Jack um. Leicht ratlos und unbeholfen betrachtete er dann wieder die Italienerin, die sichtlich mit den Tränen kämpfte. Er streckte die Hand aus, um sie ihr aufmunternd auf die Schulter zu legen, hielt sich aber dann doch zurück und winkte stattdessen auffordernd zu dem blonden Mann.

Wer war denn hier der Psychologe? Auf der Universität hieß es unter den Medizinern immer 'Wenn du das Zeug zum Arzt nicht hast, kannst du ja immer noch Psychologe werden!'. Jetzt konnte ihm Jack zeigen dass sie doch etwas Nützliches gelernt hatten. Wobei ihm schlagartig der Gedanke kam, ob er überhaupt ein ausgebildeter Seelenklempner war...

Zögerlich versuchte es Ben doch selber mit einem leisen, "Wir meinen es doch nur gut mit dir...", verstummte dann aber wieder. Er hasste solche Situationen. Er wollte ihr unbedingt helfen, aus seinem verdammten Samariterinstinkt heraus. Er verstand sich verdammt gut darauf, die Leute aufzuschneiden und zu heilen. Aber irgendwo hatten seine Fähigkeiten Grenzen.

Seufzend und traurig lehnte er sich zurück. Er betete inständig, dass Gianna nicht anfing zu heulen, so etwas konnte er noch weniger ab. Mit einer Handbewegung Marke 'dein Patient' bedeutete er Jack, irgendwas psychologisches zu tun. Dafür war er doch schließlich da.

'Na toll, Collins!', dachte der blonde Terraner. 'Hast dich ja wieder Eins A präsentiert und das auch noch als Psychologe!' Er schüttelte den Kopf. "Es tut mir leid!", sagte er dann nachdrücklich. "Ich wollte dich nicht verletzen."

Aber irgendwas war trotzdem nicht richtig. Gianna hatte ein Problem! Mit dem Bein? Es schien damit zu tun zu haben. Aber dass sie dermaßen darauf reagierte, konnte er nicht ahnen. Es war aber ein sicheres Indiz dafür, dass er einen enorm wunden Punkt bei ihr getroffen hatte.

'Wie komme ich da jetzt wieder raus?', Collins überlegte und schaute zu Ben, der ihn mit einem vorwurfsvollen Blick ansah. 'Wäre schön, wenn jetzt endlich mal der Kaffee und was zu essen käme!', dachte Jack und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

"Ok, weißt du, Gianna, wir Männer", er sah kurz zu Hawkeye, "sind im Grunde herzensgut. Auch wenn wir ab und an mal Mist erzählen oder wie in meinen speziellen Fall in Fettnäpfchen treten, die größer sind als Badewannen. Hier auf solchen Schiffen ist man ziemlich direkt zueinander. Man sagt, was man denkt.

Da kann es schon mal passieren, dass man jemandem zu nahe tritt. Es ist aber nicht persönlich gemeint." Collins beugte sich vor und versuchte, in die Augen der Italienerin zu schauen. "Mensch, Gianna! Das war eine Entschuldigung, die mir in der Form zuletzt vor zig Jahren über die Lippen kam." Er dachte an jemanden, den er nie vergessen würde.

Jack stockte ganz kurz. "Nun ja, ich hoffe, du bist nicht mehr ganz so sauer."

Immer noch glitzerten Tränen an den Wimpern der Italienerin. Gianna schniefte leise, aber sie schaffte es tatsächlich, nicht in Tränen auszubrechen. Stattdessen richtete sie ihren Blick erst auf Ben, dann auf Jack. Beide sahen wirklich betreten aus. Das tat ihr sehr leid, denn eigentlich wollte sie keinen von beiden verletzen.

Immerhin schienen sie beide sehr nett zu sein.

Die Hand der Südländerin hob sich an ihre Augen und wischte die Tränen fort. Zaghaft lächelte sie dann beide Männer an. "Es tut mir leid. Ich wollte nicht so ... aufbrausen", wieder konnte sie ein leichtes Schniefen nicht unterdrücken. "Es ist nur...", sie unterbrach sich.

Auch wenn diese beiden wirklich sehr nett waren, wollte sie ihnen nicht gleich ihr Herz ausschütten. So lange kannte sie sie ja noch gar nicht. Ein kleiner Rest Vernunft hielt sie davon ab, zu erklären, warum sie auf das Thema so allergisch reagierte.

Sie wünschte sich, die Stimmung würde wieder besser werden. Vorher war es doch auch so lustig gewesen. Das konnte man doch bestimmt wieder herstellen. Also schluckte sie die Traurigkeit, die von ihr Besitz ergreifen wollte, herunter und zauberte ein Lachen auf ihr Gesicht. Ein noch ziemlich künstliches Lächeln, zugegeben.

--- Küche

Jacques hatte nun alles so weit fertig.

Das Steak für den Phaserhelden war am Brutzeln, Khwiros Reisgericht war vollendet angerichtet, und die drei Getränke waren auch bereit zum servieren. Bier für John Wayne, ein Glas Wittwenmacher für den Knochensäger (der Franzose fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis das Zeug sich durch die Wände des Glases fraß) und Espresso mit Pseudo-Grappa für die junge Frau, die vor einer Minute etwas völlig unverständliches durch die Küchentür gelallt hatte, bevor sie wieder wegtorkelte.

Vermutlich hatte sie verlangt, den Alkohol-Anteil im Caffé Coretto zu verdoppeln. Wie Betrunkene halt so waren.

Jacques konnte sowieso nicht verstehen, wie es jemand fertigbrachte, sich so sehr zu betrinken, dass die Wahrnehmung der Geschmacksnerven darunter litt.

Einfach kulturlos, so etwas. Alkohol diente der Anregung der Geschmacksnerven, nicht zu deren Abtötung.

Er war auf einem Schiff mit Biertrinkern, Betrunkenen, Phaserhelden, unkontrollierbar temperamentvollen Frauen, die die Inneneinrichtung zerlegten, entlaufenen Neandertalern und Kochmördern gelandet.

Und das schlimmste von allem: Nicht einmal ein Weinkeller galt diesen Barbaren als sakrosankt!

Er seufzte einmal tief und schicksalsergeben, straffte seine Schultern und betrat die Mannschaftsmesse.

--- Mannschaftsmesse, Tisch 9

Khwiro saß völlig gedankenverloren da und schien angestrengt über ein Problem zu grübeln. Wusste der Henker, worüber er nachdachte. Der Franzose jedenfalls wusste es nicht. Und es ging ihm ja auch wirklich nichts an.

Der Android servierte die indische Spezialität. "Bittö söhr, einmall Safran-Minz-Biryani, mit den bestön Empfehlungön! 'ält Geist und Seele ßusammön, und nach einer Mahlßeit lösst sisch jedös Probläm wie von sölbst!"

Der Chefingenieur betrachtete den Teller über seine aneinandergelegten Fingerspitzen hinweg und gab kaum zu verstehen, den Koch verstanden zu haben.

Jacques wandte sich daher ab.

--- Mannschaftsmesse, Tisch an der Bar

Die beiden Männer scheinen sich gerade uneins darüber zu sein, wer die angetrunkene Beute schießen durfte.

Naja, sollten sie. Mit Betrunkenen konnte Jacques so rein gar nichts anfangen. Er würde Khwiro mal fragen, ob es hier irgendwo an Bord ein Holodeck gab, damit sich der französische Starkoch zumindest einer leichten Illusion von Kultur und Contenance hingeben konnte.

Er dachte da an einen Soschtschenko-Abend oder ähnliches.

"Madame, Ihr Café, et les Monsieurs, le bière et l'èau-de-vie!", er stellte die Bestellungen auf den Tisch. Es war schon eine bittere Ironie des Schicksals, das dieses Gebräu für den Quacksalber im französischen als 'Lebenswasser' bezeichnet wurde. 'L'eau-du-mort' wäre passender gewesen...

Jacques entschloss sich, mehr über die Mannschaft herauszufinden. Vielleicht würde ein kleiner Smalltalk ja auch das Eis brechen. Immerhin hatte er hier nicht gerade einen sehr glücklichen Einstand gehabt, und bis zum nächsten Raumhafen wollte er gerne überleben.

"Was isch 'íer mache, ist ja offönsischtlisch, abör, wenn die Frage nischt zu offön ist, in welscher Function befindön sisch denn die 'errschaften - und natürlisch auch ihrö reissendö Begleitüng - an Bord?" Mit den letzten Worten nahm er die Hand von der Frau und deutete formvollendet einen Handkuss an.

Dann schaute er fragend in die Runde.

'Oh mein Gott...', Hawkeye hoffte, dass sein Whisky nicht ebenso nach Spülwasser schmeckte, wie das aalglatte Weichspülauftreten des Toasters. Bei dem Versuch nicht allzuschnell nach dem Glas zu greifen, kam ihm in dem Sinn, dass er auf diesem Schiff auch nicht vom Alkohol loskommen würde. Nun gut, wirklich versucht, oder versuchen würde er es sowieso nicht.

Grinsend hob er sein Lebenselexier, merkte man doch sichtlich, dass die vorherige Spannung durch das Auftreten der sprechenden Mikrowelle abgefallen war. "Monsieur de la Cuisine, ich erlaube mir die Ehre meine Tischgefährten vorzustellen.", Ben kam langsam auf den Geschmack, auf das Spielchen des Essensautomaten einzugehen, "Ich bin Hawkeye und der ehrenwerte Bordarzt. Bei Migräne oder Blasenschwäche stehe ich rund um die Uhr bereit, außer wenn ich schlafe oder trinke!"

Mit einer eleganten Geste wies er auf Gianna, "Die liebreizende Dame neben mir heißt Gianna und ist die ortsansässige Wissenschaftlerin. Zurzeit betreibt sie ihre Studien im Gebiet der Alkoholforschung und ist schon in diesem frühen Stadium zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen!", der Bordarzt hatte sichtlich Spaß bei dieser Art der Vorstellungrunde, nicht zuletzt, da bald der Augenblick kam, um gemeinsam anstossen zu können.

"Zu Krönung habe ich das Vergnügen Jack vorzustellen. Der Seelenklempner vor Ort kümmert sich gerne um jedwede Art von Kummer, aus amorösen oder anderen Gründen. Cheers!", in bester Yankee Manier nahm er einen tiefen Schluck und genoss das brennende Feuer, was seine Kehle runterlief und quittierte es mit einem zufriedenen Schnauben.

Der Mann hatte einen höllischen Zug am Leib und scheinbar eine theatralische Ader. Collins verdrehte kurz die Augen, 'Ja, darum kümmere ich mich nebenbei auch noch, aber hauptsächlich bin ich als Captainekiller angestellt worden!', dachte er als Ergänzung zu Bens Vorstellung.

"Cheers", antwortete der blonde Terraner, nahm einen Schluck von dem Bier und sah zu Gianna. In der Wissenschaft war sie also. Vielleicht konnte sie ja Kwhiro bei dem Rasiermesser helfen. Sie saß am Tisch und schnupperte an ihrem Kaffee. Der schien gut zu riechen.

Es war dem Psychologen so, als wenn die Wissenschaftlerin sich langsam wieder in die ruhige, schüchterne Frau verwandelte. Sie wurde deutlich ruhiger, und ihr Lächeln wirkte ziemlich aufgesetzt. Ihr Alkohollevel sank scheinbar, und das war gut so.

Jack sah auf die Uhr. Eigentlich wollte er schon mal das Schiff erkundet haben, aber irgendwie kam er hier überhaupt nicht weg. "Sag mal. . . Jacques.", nur mühsam kam der Psychologe damit zurecht, den Androiden als Menschen zu behandeln. 'Du sollst ihm eine Chance geben, Collins!', dachte er.

"Ich bin sicher, das du ein exzellenter Koch bis und ich weiß auch, das ein gutes Essen seine Zeit braucht. Aber leider muss ich mich noch um ein paar Dinge kümmern und ich wäre dir sehr verbunden, wenn ich mein Steak gleich essen könnte", innerlich entsetzt von seinem zurückhaltenden, kleinlauten und höflichkeitsstrotzendem Gelaber, beendete Jack den Satz. "Danke!"

Eins wusste der blauäugige Terraner ganz genau, lange gutgehen würde das nicht.

--- Gang vor dem Frachtraum

Nach einem ereignislosen Gang zum Frachtraum - zum Glück gehörte Juna nicht zu der Kategorie munter schwatzender Frauen -  prüfte Silvana noch einmal den korrekten Sitz ihrer Wurfmesser. Ihr Blick streifte Junas attraktiven, kurvenreichen Körper und zum wiederholten Male fragte sie sich, warum die Orionierin sich einem Mann unterordnete und seinen Befehlen gehorchte, statt ihm die Sinne zu rauben und ihn süchtig nach ihr zu machen, um ihn irgendwann wegzuwerfen, wenn ein anderer seinen Platz einnahm.

Als Juna ihren Blick spürte und sie ansah, blickte sie weg. Sie hatte keine Lust, sich auszutauschen, da sie Junas Einstellung zu Kwhiro bereits bestens kannte und hoffte nur, dass Pete ein Problem hatte, dass sich mit Gewalt lösen ließ. Jene Art von Medizin, mit der sie sich befriedigte, wenn gerade kein besonderes Männchen in der Nähe war.

--- Frachtraum

Die Sinne der Katzenfrau waren hochempfindlich, und so konnte sie nicht umhin, sich wieder vom strengen Geruch des Primaten angewidert zu fühlen. Fast gleichzeitig schien er sie ebenfalls zu wittern und führte seinen ein-Raubtier-ist-in-der-Nähe Tanz mit kreischendem Gesang und Gerüttel am Gitter auf, den er immer dann anstimmte, wenn er ihren Geruch wahrnahm.

Sie konnte das haarige Biest einfach nicht ausstehen. Vielleicht roch es ja die Gefahr, in der es sich tatsächlich befand, sollte es ihr mal im Wege stehen.

Ohne sich um Juna zu kümmern, die scheinbar unentschlossen zögerte, ob sie mit ihr sofort zu Pete gehen oder sich zuerst um ihr aufgeregtes Haustier kümmern sollte, bewegte sich Silvana auf Petes Rücken zu, der beim Geschrei des Affen erschrocken zusammengezuckt war. Pete hatte offensichtlich vor etwas Angst. Es gab nicht viel, was er fürchtete. Die Sache schien tatsächlich interessant zu werden.

"Was ist denn so verdammt wichtig, dass ich es unbedingt sehen muss?" Noch während sie ihn ansprach, fiel ihr die leere Holzkiste zu seinen Füssen auf. Sie war augenscheinlich hastig und in aller Eile aufgebrochen worden. Anhand der Zeichen auf der Kiste war es leicht auf den Inhaber zu schließen und worum es gehen mochte. "Du wolltest dir also den Besitz des kürzlich verschiedenen Kochs unter den Nagel reißen, wie ich sehe. Kam dir jemand zuvor oder ..."

Warum mußte sie gerade jetzt wieder an die verfluchten Jumper denken?

--- Brücke

Schließlich löste Zesiro ihren Griff um die Konsole und verschränkte schweigend die Arme vor der Brust. Sie war zwar keine Ingenieurin, aber sie kannte ihr Schiff in- und auswendig, und wie bei jedem Start nutzte sie den Moment der Beschleunigung, um die vertraute, fast unhörbare Geräuschkulisse und das ferne Vibrieren der Yingpei auf sich wirken zu lassen.

'Auf zu neuen Abenteuern', dachte sie trocken, während die Sterne auf dem Schirm sich zunehmend in Schlieren verzogen. 'Reich werden und in die Geschichte eingehen.'

Leute wie sie gingen natürlich nicht in die Geschichte ein. Das war Sternenflottenoffizierin vorbehalten. Aber naja. Dafür wurden Sternenflottenoffiziere nie reich.

Im Augenwinkel sah sie, dass Pierson es sich wieder bequem machte und nach seinem Groschenroman über den Trill-Krieger griff, auf eine weitere langweilige Brückenschicht eingestellt. Die Captain selbst lockerte ihre Pose und fragte sich flüchtig, was es als nächstes zu tun gab. Einen Blick auf Mocks Ladung werfen. Silvana über den Psychologen ausfragen. Und bei der Gelegenheit ein Friedensangebot machen, weil sie sie den ganzen Tag herumgescheucht hatte. Ihre rechte Hand akzeptierte ihre Befehle schließlich nur, weil Zesiro so wenige gab. Zesiro hatte Silva nicht über ihren Wunsch nach einem Psychologen aufgeklärt - allein bei der Idee drehte sich ihr der Magen um -, und so hatte die Frau keine Ahnung von ihrer Nervosität.

Sie trat beiseite, um Classic nicht den Weg zu versperren, falls er nicht vorhatte, auf der Brücke zu bleiben. "Heute schon was vor?", fragte sie flapsig. "Ich dachte, ich lade die Jungs heute Abend auf ein Kartenspiel ein, falls du Interesse hast. Und falls sie mich mittlerweile wieder ansehen können, ohne zu zittern", fügte sie mit einem Augenverdrehen hinzu und verwies auf den 'Unfall', der gestern ihren Koch und ihre Ärztin das Leben gekostet hatte.

--- Frachtraum

Pete hatte sich zu ihr umgewandt, und sie entdeckte erst jetzt das Holzkästchen in seiner Hand. Es war schlicht, mit bunten Symbolen, und erinnerte an ein Kinderspielzeug. Entweder hatte Pete doch ein einfacheres Gemüt als sie gedacht hatte, oder die Leute von der Föderation waren nicht nur erbärmlich, sondern auch unterbezahlt. Dabei sollte man sie für einen Job wie diesen einfach besser bezahlen, denn die Chancen, das Geld irgendwann noch ausgeben zu können, standen ohnehin sehr schlecht.

Ein leichtes Ruckeln ging durch das Schiff, und als es sich stabilisierte, machte sich ein Gefühl der Erleichterung in Silvana breit. Endlich ging es wieder los. Sie legten ab. Pete sah alles andere als erleichtert aus. Fast wäre ihm das Kästchen aus der Hand gefallen. Silvanas funkelnde Augen, die sich langsam über die grundlose Störung zu ärgern begann, gaben ihm einen triftigen Grund, rasch mit seinen Ausführungen zu beginnen.

"Ja, ich wollte mir die Sachen vom Koch unter den Nagel reißen. Aber warum auch nicht? Er braucht sie sowieso nicht mehr. Aber in der ganzen Scheißkiste war nur das hier. Er hat uns verarscht über den Tod hinaus. Aber wieso..." Er hielt ihr das Kästchen hin und ließ es aufspringen. Es war ein Jack in the box. Die grinsend verzerrte Visage eines Clowns sprang ihr entgegen, und auf seiner Brust aus Stoff prangte ein Abzeichen. Dazu gab es ein metallisch schepperndes meckerndes Lachen aus irgendeiner versteckten Apparatur.

Silvana interessierte sich nicht für den seltsamen Humor des Föderierten, aber wohl für diesen Anstecker, der ihren Blick fesselte. Geschickt entfernte sie ihn mit einem Handgriff und bewunderte wieder mal das Emblem, das sie schon einmal vor Jahren gesehen hatte. Eine silbern glänzendes Kut'luch in einem blutroten Dreieck.

Das Kut'luch war Handwaffe jener Klingonen, die keinen Spaß verstanden und diente dazu, beim Gegner besonders abscheuliche und tiefe Wunden zu hinterlassen, da damit zugestossen und es innerhalb des Körpers umgedreht wurde, um die Überlebenschancen drastisch zu minimieren. Eine im Untergrund agierende Organisation hatte es genau aus diesen Gründen in ihr Emblem eingebunden. Ihre Gegner sollten hilflos verrecken.

Ohne sich lange mit Erklärungen aufzuhalten packte sie Pete am Kragen seiner Arbeitskleidung und versicherte sich seiner vollen Aufmerksamkeit, während seine Augen furchtsam im Gelb der ihren ertranken.

"War noch etwas dabei? Etwas Wertvolles? Und gnade dir Zesiro, du lügst mich an!", zischte sie erregt.

Für einen Moment schien er zu zögern, doch dann nickte er nur. Für eine Antwort schien seine Stimme gerade nicht zu reichen. Er griff in die Brusttasche seiner Montur und holte etwas glänzendes heraus. Als es in ihrer Hand landete, wusste Silvana längst, was es war. Dennoch versicherte sie sich mit einem raschen Blick darauf. Eine dieser Münzen galt als die obligatorische Anzahlung, wenn man einen Auftrag dieser Organisation übernommen hatte oder wenn man für sie Informationen einholte. Der Koch war wohl zweigleisig gefahren und der Clown sein letztes triumphierendes Lachen aus dem Jenseits.

"Ich glaub, wir haben ein kleines Problem", murmelte sie mehr zu selbst, als zu den beiden Anwesenden. Mit einem Blick auf Pete spezifizierte sie es ein wenig, "oder wie du sagen würdest: Man, wir sind ja so was von im Arsch..."

Damit machte sie kehrt und lief im Laufschritt Richtung Brücke um Zesiro von der Neuigkeit zu erzählen. Wenn Juna Interesse hatte, würde sie mitkommen müssen, denn sie hatte keine Zeit sich mit Erklärungen aufzuhalten.

--- Mannschaftsmesse, Tisch an der Bar

Jacques glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können.

Auf diesem Schiff bildeten also Psychopath und Psychologe eine Personalunion. Hier wurde wirklich der Bock zum Gärtner gemacht.

Der Koch konnte sich kaum vorstellen, sich wegen seiner Filmrisse an diese unberechenbare Killermaschine zu wenden.

Aber - irgendwie schienen ja fast alle an Bord unberechenbare Killermaschinen zu sein.

Zesiro sowieso, das hatte sie selbst ja klargestellt. Silvana und Juna war ihre Gefährlichkeit selbstverständlich ohne Weiteres anzusehen. Zudem hatten beide ihre Unbeherrschtheit bereits demonstriert.

Der Pilot hatte offensichtlich ein Krampfleiden. Tolle Kombination. Noch eine Bock-Gärtner-Chimäre.

Der Arzt war klar eine Gefährdung für die Allgemeinheit. Bock-Gärtner-Chimäre Nummer drei.

Und selbst, wenn Toms Gehirn friedfertig sein sollte - Jacques bezweifelte, dass es über genügende Kapazitäten verfügte, den dazugehörigen Körper entsprechend ausreichend zu kontrollieren.

Und nun auch noch dieser... Psychopathologe...

Die beiden einzigen halbwegs ungefährlichen Leute an Bord, die er bisher kennengelernt hatte, schienen Khwiro und Gianna zu sein.

Die 'Bitte', das Steak schneller zu bekommen, erhielt somit natürlich eine besondere... Dringlichkeit, die der Koch aber glücklicherweise ohne weiteres erfüllen konnte, das Steak war nämlich schon in der Pfanne und sollte sowieso nur Medium werden.

Zudem war Jacques zwar sehr enttäuscht darüber, dass zwei Gäste ihre Bestellung storniert hatten und das Reisgericht ignoriert wurde (eigentlich eine Katastrophe für ein Haus mit Renommé), aber der Eifer von Collins, sein Steak zu bekommen, war hier natürlich Balsam für Jacques' geschundene Seele.

"Sofort, der 'err!", sang er und verschwand augenblicklich wieder in der Küche.

Gianna nippte an ihrem Caffè, der wirklich nicht schlecht schmeckte. Aber irgendwie wirkte er nicht so, wie er das normalerweise tat. Im Normalfall nämlich weckte sie das Coffein, vor allem, wenn der Caffè so stark war, wie es bei diesem der Fall war. Sie nahm einen weiteren Schluck und genoss das runde Aroma.

Ihre Lider wurden irgendwie schwer, und die Italienerin mußte ein Gähnen unterdrücken. Sie starrte in ihren Kaffee und ließ ihre Sinne wandern. Seitdem das Ruckeln durch das Schiff gegangen war, schien die Messe leicht zu vibrieren. Oder bildete sie sich das nur ein.

Sie blickte in die Runde. Der Android steuerte mit einem Teller auf ihren Tisch zu. Was er dort brachte, roch verdammt gut. Wenn sie an ihr hervorragendes Frühstück dachte und den Caffè - und jetzt noch dieses Steak für Jack... Sie lächelte leise. Zumindest kulinarisch gesehen würde diese Reise vermutlich ausgesprochen angenehm sein.

Als sie zu Ben blickte, starrte dieser in sein Whiskyglas, so wie sie vorhin in ihren Kaffee. Gianna lächelte vorsichtig in seine Richtung, wusste aber nicht, ob er es wahrnahm.

Also wandte sie sich zu Jack. "Ich könnte mir vorstellen, dass Du hier an Bord genug zu tun bekommst - als Psychologe, meine ich...", wieder unterdrückte sie ein Gähnen. "Ich meine, die sind doch alle...", sie merkte noch rechtzeitig, was sie zu sagen im Begriff war und lief rot an.

Jack, der auch die Ankunft des Kochs beobachtete, sah jetzt zu Gianna. "Du meinst, die sind alle verrückt?", er lachte laut und herzlich. "Gianna zu bist wirklich gut, ein klares Wort! Und ich fürchte, du hast gar nicht so unrecht. Allerdings musst du uns alle dann einschließen.

Jeder, der auf so einem Schiff arbeitet, muss ein wenig verrückt sein, sonst wäre er oder sie nicht hier.", er wischte sich eine Träne aus den Augen. Nebenbei registrierte er, dass die Geräuschkulisse des Schiffes sich geändert hatte. Das dumpfe Grollen des Antriebes ließ die Yingpei kurz erzittern.

Collins wandte er sich wieder Jacques zu, der sich dem Tisch näherte. 'Riechen tut es gut, ich hoffe nur, er kommt auch heil an', dachte er amüsiert. Und er begann sich langsam damit abzufinden, dass der Koch ein Androide war. Im Moment zumindest.

--- Gänge

Während Silvana lief, überschlugen sich ihre Gedanken. Sie versuchte alle Informationen zu einem Ganzen zu formen und doch blieb einiges davon im Dunkel. Der Koch war für die Föderation tätig gewesen, wie auch für diese Untergrundorganisation. Was genau seine Aufträge gewesen waren, würden sie wohl nie erfahren. Ebenso wenig wie die Tatsache, welche Informationen bereits den Besitzer gewechselt hatten.

Die Föderation war wegen einiger Sachen hinter ihnen her. Was an der Tatsache lag, dass sie einen florierenden Schmuggelhandel betrieben und auch die ziemlich üppigen Kopfgeldern erklärte, die auf Zesiro und sie ausgesetzt waren. Und dann kam da noch Silvanas spezieller Freund in der Regierung hinzu, der in ihr eine Waffe sah, die er gern selbst in Händen hätte...

Ärgerlich presste Silvana den Anstecker fest in die Hand, und reines Glück hinderte ihn daran, sich in ihr Fleisch zu bohren. Was ein sehr zweifelhaftes Vergnügen gewesen wäre, da sein Dorn eine Art Widerhaken aufwies, um eine größere Wunde zu hinterlassen.

Warum interessierten sich diese Klingonen für jemand hier an Bord? Weshalb diese Botschaft über den Tod hinaus? Sie hatte von allen Personen, die sich bereits länger an Bord befanden, die Akten durchleuchtet. Die Neuen würden in Kürze dazukommen. Doch es war nichts Auffälliges dabei gewesen. Niemand hatte besonders Dreck am Stecken. Was war schon ein kleiner Mord unter Freunden? Nichts, was ungewöhnlich wäre oder besonders interessant für Klingonen.

Und wenn es nun gar nicht an den Leuten selbst lag, sondern...?

In dem Moment wo ihr dieser Gedanke kam, beschleunigte sie zusätzlich.

--- Brücke

Offensichtlich brachte sie Unruhe und Anspannung mit, denn alle Köpfe zuckten in ihre Richtung, als die katzenhafte Frau die Brücke betrat und für sich vereinnahmte. Ein Blick aus gelben Augen blieb an Classic haften:

"Classic, versuch herauszufinden, wann und mit wem der Koch Kontakt hatte. Vielleicht kannst du da ja was zaubern in deinen Logdateien."

Dann wandte sie sich an Zesiro, ohne auf Antwort zu warten. "Der Koch hat nicht nur für die Föderation spioniert, sondern auch für ‚Kortars Hand’, wenn dir der Name etwas sagt", dabei warf sie Zesiro den Anstecker zu, den sie geschickt noch im Flug aus der Luft griff, ohne sich zu stechen. Sicher kannte Zesiro die Funktion von Kortar im klingonischen Jenseits. "Entweder, sind sie an unserer Fracht interessiert, oder an deinem Schätzchen hier." Mit einer Handbewegung fasste sie das Schiff sein. "Was weißt du über Mocks Zeug und die Yingpei?"

Bei Silvanas Worten war Zesiros Miene zu Stein geworden, und jetzt sah sie mit einem Widerwillen auf den Anstecker hinab, der ganz tief aus dem Herzen kam. Der Anfall von Jähzorn, in dem sie Leonardo Martinez, den Koch, erschossen hatte, wallte wieder heiß in ihr auf. Den Bruchteil einer Sekunde lang verschwamm die Brücke, wurde von Martinez ersetzt, der unter der Wucht des Schusses zurücktaumelte, und die weitaufgerissenen Augen der Ärztin, zwei Schüsse für jeden, Brust und Kopf, und Stille.

Zesiro presste die Lippen aufeinander, ballte die Faust über dem Anstecker, bis sie spüren konnte, wie sich seine scharfen Kanten in ihre Handfläche bohrten.

So viel zum Thema 'ruhige Reise'.

"Das nächste Mal nehmen wir ihre Quartiere auseinander, bevor wir sie hinrichten", knurrte sie. Sie zweifelte nicht daran, dass es ein nächstes Mal geben würde. So viel Glück hatte sie schließlich nie. "Gah!" Es war ein Ausruf reinen Unwillens. Ihr war danach, in eine Konsole zu treten, aber sie beherrschte sich.

"Wir transportieren Ersatzteile. Schaftbolzen und so was", beantwortete sie stattdessen kurz angebunden Silvas Frage und schnaubte. "Sagt Mock. Ich wollte sie mir gerade ansehen. Und Martinez' Quartier... verdammt." Sie verstummte einen Moment lang. Das Quartier hatte sie Collins gegeben. Sie hoffte, er hatte es noch nicht ausgeräumt. "Das Quartier nehmen wir auch auseinander.", beschloss sie kurzerhand. "Vielleicht sind sie auch hinter jemandem an Bord her. Nur dumm, dass wir keine Chance haben, herauszufinden, wer es ist. Wenn derjenige überhaupt weiß, dass es jemand auf ihn abgesehen hat, scheint er es uns ja offenbar nicht sagen zu wollen."

Praktisch jeder auf der Yingpei hatte Leichen im Schrank, und Zesiro fragte bei Einstellungsgesprächen nicht gerade nach Lebensläufen. Vielleicht hatte Martinez es auf sie oder Silvana abgesehen gehabt, vielleicht auf ihre Fracht, vielleicht auf ein Mitglied der verdammten Ladecrew, das sich einen Feind gemacht hatte. Vielleicht hatte er der Föderation und Kortars Hand die gleichen Informationen verkauft, vielleicht aber auch unterschiedliche. Großartig. Ganz großartig.

Zesiro hielt inne, als ihr ihre neuen Crewmitglieder in den Sinn kamen - Alessi, Hawkeye, Collins und Jacques, falls sie den Androiden mitzählte. Die einzigen Personen an Bord, die unter Garantie nichts mit der Sache zu tun haben konnten. Immerhin waren sie nur an Bord gekommen, weil der Koch von ihnen 'gegangen' war. Sie grinste. Sah so aus, als hätten die Neuen sich gerade freiwillig für eine kleine Ermittlung gemeldet.

"Wir sollten unsere neuen Crewmitglieder bitten, uns zu helfen. Nicht, dass ihnen langweilig wird.", bemerkte sie beiläufig. Sie wusste, dass Silvana ihrem Gedankengang folgen würde, ohne dass sie ihn erklärte. "Du das Quartier, ich die Fracht?"

"Okay", meinte Silvana kurz angebunden, während sich ihre Gedanken schon wieder überschlugen. Sie liebte jede Art der Jagd und es kribbelte sie bereits am ganzen Körper, als hätte sie sich in einen Haufen Ameisen gelegt. Am Liebsten hätte sie sich die Kleider vom Leib gerissen und am Boden herumgewälzt um dieses aufreibende Gefühl loszuwerden.

Und doch. Irgendwie genoss sie das Gefühl von Leben in jeder einzelnen ihrer Körperzellen. Es schien alle ihre Ursprünge wieder zu einem Ganzen zu vereinen. Jenem Tier, dass einst Dr. Farnside geschaffen hatte.

"Wenn du um Hilfe 'bitten' willst," sie stieß das Wort voll Abscheu aus, "dann musst du das selbst tun. Ich denke, ich habe meine Nettigkeiten schon für diese Woche ausgegeben." Damit drehte sie sich um und verließ die Brücke ohne Zesiro die Möglichkeit zu geben etwas zu erwidern.

Sie hatte ihr einen Psychologen besorgt ohne zu wissen, weshalb sie einen brauchte. Sie hatte ihr Schweigen akzeptiert, obwohl sie niemals Geheimnisse vor einander gehabt hatten. Auch wenn der Verlust von Hung noch immer ein Tabuthema zwischen ihnen war. Wegen Zesiros Hang zum Luxus tobte ein durchgeknallter Haufen Blech durch die Mannschaftsmesse, der sich für den Küchenchef hielt und bei dem sie auch noch Nachsicht haben musste.

Nein, für heute reichte es ihr endgültig.

Irritiert sah Zesiro der Frau nach, der heute irgendeine Laus über die Leber gelaufen zu sein schien. Gut, sie hatte sie heute ein wenig herumgescheucht, aber Silvana wusste ja wohl, dass Zesiro sich das nicht zur Gewohnheit werden lassen würde. Ganz davon abgesehen dass sie es wohl kaum nötig hatte, sich von ihrem Captain die Hand halten zu lassen. Dass sie Zesiros Ironie überhörte, sprach jedenfalls Bände für ihre Stimmung.

Vielleicht war sie frustriert, weil sie und Collins vorhin unterbrochen worden waren, oder etwas in der Art.

Kopfschüttelnd wollte Zesiro sich gerade an Classic wenden, als ihr Kommunikator piepte.

--- Frachtraum

Die Orionerin war nach Betreten des Frachtraums sofort zu dem Käfig geeilt in dem der kleine Affe panisch an den Gittern herumsprang. Sie trat ganz nah an das Gitter, streckte einen Arm hindurch und redete leise und ruhig auf das Tier ein. Jupp sprang auf ihren Arm und klammerte sich daran fest.

Juna bewegte auch ihren anderen Arm durch das Gitter und kraulte vorsichtig den zitternden Primaten. Bedauernd fiel ihr auf, dass sie ganz vergessen hatte, wie Silvana und ihr Affe immer aufeinander reagierten. Aber was hätte sie schon tun sollen? Sie konnte ja kaum die rechte Hand des Captains aus dem Frachtraum aussperren.

Aus den Augenwinkeln hatte die grünhäutige Frau noch mitbekommen, wie Silvana zielstrebig auf Pete zu ging. Es interessierte Juna immer noch, was der Anlass für Petes Ruf war, weswegen sie sich von Jupp diesmal schneller als sonst abwandte. Die ging in die Hocke, streifte ihn leise murmelnd von ihrem Arm und schloss dann rasch zu den anderen beiden auf.

Gerade am Rande bekam sie noch mit, wie etwas aus einem kleinen Holzkästchen herausschoss. Der Gegenstand, den Silvana dem Kästchen entnahm, schien Silvana ziemlich aufzuregen. Sie schüttelte noch etwas aus Pete heraus und stürmte aus den Frachtraum.

Verwundert, sah die Orionerin den Mensch an. "Was war denn DAS eben?"

"Ja, das... also ich habe in den Hinterlassenschaften des Kochs gestöbert und dabei dieses klingonische Abzeichen entdeckt. Ich weiß nicht zu welchem 'Verein' es gehört, aber Silvana meinte, wir wären im Arsch."

Durch Silvanas Verhör hatte seine sonstige Coolness merklich gelitten. Nervös wie er nun war, fiel es ihm sichtlich schwer ruhig vor Juna stehen zu bleiben. Zudem es Pete gerade schwer fiel einzuschätzen, ob die Orionerin gerade mehr in Zuckerbrot- oder Peitschen-Stimmung war.

"Lagen Martinez' Sachen zwischen den Ersatzteilkisten?", wollte sie in verdächtig ruhigem Ton wissen.

"Nein, die lagen da drüben, hinter ein paar Fässern." Er zeigte in die entgegengesetzte Richtung. Plötzlich wurde Pete klar, worauf Juna hinaus wollte. "Die hab ich davor bereits katalogisiert, wie du wolltest. Allerdings, es schaut da noch etwas chaotisch aus, weil ich die Kisten noch nicht neu geordnet hatte.", gab er kleinlaut zu. "Aber das wollte ich gleich nach meine Pause erledigen."

"Mhm, und hast du neben deiner Schatzsuche, vorhin bei deiner Arbeit noch etwas Interessantes oder Unkategorisierbares gefunden?"

"Lass mich überlegen", er kratze sich am Kopf und sah in die Ferne. "Da war noch eine mumifizierte Wühlmaus und so ein komisches Ersatzteil. Sah so aus, wie man sich einen Antimaterietank für eine Sonde vorstellen würde, sofern die sowas haben. Obwohl, etwas war seltsam, es blinkte."

"Es blinkte?", fragte die Orionerin verblüfft. "Zeig es mir!"

Sie folgte den Frachtarbeiter zwischen ein paar Kistenreihen hindurch zu einem Platz an dem mehrere offene Kisten wie verstreut herum standen. Pete ging zu einer der Kisten und deutete hinein. Juna trat neben ihn und folgte mit ihrem Blick die Richtung in die sein Arm zeigte.

Es sah aus wie ein kleiner Druckbehälter. Man konnte es echt für einen Tank halten. Aber da waren noch ein paar Elemente angebracht, die wie Kontrollen aussahen. Einige davon blinkten regelmäßig. Die Stelle, wo man ein Ventil erwarten würde, schien aufwändig gesichert.

Juna beugte sich tiefer hinunter um ein kleines Display genauer zu sehen. 'Versiegelung intakt', stand da. Und in der Zeile darunter 'T R I L I T H I U M'. 'Da war doch was...', kramte die Orionerin in ihrer Erinnerung. Ach ja, in einer von Drogen verursachten kreativen Phasen schwelgte Kwhiro davon wie man aus einigen Warpantrieben die tollsten Waffengrundstoffe gewinnen konnte und der gefährlichste war...

"Trilithium!" fluchend richtete sie sich auf. Sie aktivierte ihren Armband-Kommunikator, "Juna an Zesiro. Wir haben noch ein Problem. Bei den Ersatzteilen liegt ein Behälter, auf dem steht, dass er Trilithium enthält."

--- Brücke

"Wie bitte?", wiederholte Zesiro scharf. "Nein, vergiss das. Warte. Ich bin gleich da. Ende."

'Trilithium?', formten ihre Lippen nach. Als sie zu Classic und Pierson aufsah, die dem Wortwechsel gefolgt waren, war ihr Gesicht ein Bild des Unglaubens. 'Trilithium? Auf ihrem Schiff??'

"Beeil dich besser mit den Logs", waren ihre Abschiedsworte an Classic, aber sie war praktisch schon im Gang.

--- Gänge

"Silva!", schnappte Zesiro und erhaschte gerade noch einen Blick auf ihre Freundin, die dabei war im Turbolift zu verschwinden. Ihr Ton war genug, dass Silvana innehielt und scharf zu ihr herübersah. Zesiro nahm die Beine in die Hand, um aufzuholen. 'Trilithium?', wiederholte sie gedanklich und hatte ihre Irritation über Silvana bereits vergessen. Dafür war jetzt keine Zeit. "Juna behauptet, wir lagern in unserem Frachtraum Trilithium."

Die Neuigkeit, dass sie einen höchst gefährlichen, höchst giftigen und höchst explosiven Sprengstoff auf diesem Schiff transportierten, wurde auch von Silvana eher unbegeistert aufgenommen. Mit einem Fauchen folgte sie Zesiro den Gang hinab.

Die Captain hörte, wie sich das leise Surren der Yingpei um sie herum einen Moment lang veränderte, als das Schiff auf Warp sprang. 'Dramatisch passend', dachte sie spöttisch, während sie ihren Kommunikator antippte.

"Xa-Le an Kwhiro, Collins und Alessi", sagte sie knapp. "Ich brauche euch sofort im Frachtraum."

Falls dieses Trilithium mit dem Koch zu tun hatte, wollte sie, dass das Quartier auf der Stelle auseinandergenommen wurde. Wer wusste schon, was sie noch alles finden würden - Hyposprays mit Wahrheitsserum vom Tal'Shiar? Verschlüsselungscodes des Obsidianischen Ordens? Gerade im Moment hätte sie nichts dergleichen überrascht.

'Trilithium!'

So etwas gehörte nicht einmal in die Nähe ihres Schiffs!

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