Ivory Chronik 2

Missverständnisse

--- Krankenstation

Shanias Augenlider begannen erst zu flackern und schließlich öffneten sie sich vorsichtig, um sich, geblendet vom hellen Licht der Stationsbeleuchtung, wieder zu schließen.

Der Amerikanerin ging einiges durch den Kopf. Besonders der Alptraum, der sie beim Schlafen heimgesucht hatte. Sie lag nicht in der Krankenstation des Föderationsschiffes U.S.S. Saturn, sondern war nach einer intensiven Befragung auf ihren eigenen Wunsch hin auf der nächsten Sternbasis ausgesetzt worden, wo die Ivory vor Anker lag.

Was für ein lächerlicher Zufall sollte das Schiff genau hierher verschlagen, wo es im ganzen Universum unterwegs war?

Doch ihr Traum ging noch weiter in seiner bizarren Realität. Sie ging zur Schleuse der Ivory und anstelle von Gerald oder Martengh antwortete Francine Monserat ihr. Und um das ganze kranke Chaos in ihrem Kopf noch zu erweitern, holte eine Cardassianerin sie überheblich lächelnd von der Schleuse ab und stellte sich einer neuen Bewerberin gleich als ihre Nachfolgerin vor.

'Mein Gott, was für ein irrer Traum', dachte Shania mit dem Anflug eines Lächelns und versuchte erst gar nicht daran zu denken, was ein Traumdeuter zu der Phantasie ihres unverarbeiteten Unterbewusstseins sagen würde. Wäre sie nicht daraus erwacht, wer weiß, ob ihr nicht auch noch der Killerroboter Charly Alpha 1 begegnet wäre oder gar Monserats Erzfeind Bragma selbst, der inzwischen Monserats alten Drachen von einer Schwester geheiratet hatte.

Nun zog sich doch ein breites Grinsen über Shanias Gesicht, während sie sich vorsichtig aufsetzte und die Augen öffnete, um ihre gewohnte Umgebung zu betrachten.

Das Grinsen erstarrte, als sie in das erleichterte und zugleich ziemlich verwirrt aussehende Gesicht einer Cardassianerin und einer besorgten Trill blickte. Zwei Frauen, die sie aus ihrem Alptraum noch in schlechter Erinnerung hatte. Sie blickte von einer zur anderen und konnte nicht glauben, was da vorging.

"Das darf doch alles nicht wahr sein. Womit habe ich das nur verdient?", meinte sie aufseufzend und ließ sich wieder nach hinten fallen. "Okay, ich bin meinen Eltern davongelaufen und habe mich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, für die mir mein Vater sicher den Kopf abgerissen hätte, habe auch Dinge gemacht, auf die ich nicht gerade stolz bin. Und ich verliere mein Herz immer an die falschen Männer, aber was habe ich verbrochen, dass das Schicksal mich so hart bestraft?"

Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort auf ihre Frage, sondern setzte sich gleich wieder auf. Das leichte Schwindelgefühl in ihrem Schädel ignorierte sie, da allein ihre Gedanken sie schon schwindelig machten. Also führte sie einfach ihr kleines Zwiegespräch weiter, als würden die beiden Frauen gar nicht existieren und würden sich wieder in ihrem Traum zurückziehen, wenn sie sie nur stark genug ignorierte:

"Aber nein, es ist alles wahr und war kein Traum. Wahrscheinlich habe ich gerade auch noch ein sündhaft teures Medikament verbraucht, das ich mir nicht im Mindesten leisten kann, da ich kein Quäntchen Geld habe. Aber Francine wird es mich sicher abarbeiten lassen, wie ich sie aus Geralds Geschichten kenne. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht gewollt hätte wieder hier zu arbeiten ... aber irgendwie ...", sie vollendete den Satz nicht und sprang leicht taumelnd auf die Beine.

Wie eine Betrunkene hielt sie auf den Ausgang der Krankenstation zu und machte sich das erste Mal in ihrem Leben Gedanken darüber, ob es eine höhere Macht gab, die sich jemanden aus der Menge pickte, um ihm einen bösen Streich nach dem anderen zu spielen.

Dabei war die Macht, die sie am Maquisstützpunkt gespürt hatte, viel erhabener, vollkommener und einfach nur gigantisch in ihren Ausmaßen und ihrer Kraft ...

Sie hielt inne und drehte sich zu den beiden Frauen um, die immer noch angewurzelt bei dem Biobett standen und ihr entgeistert nachblickten. "Na, was ist, gehen wir zu Geralds reizender Schwester oder wollten sie mich erst noch obduzieren?"

--- Ivory, Brücke

Peter schallte immer noch Francines Satz mit dem Kindermädchen durch den Kopf, als ihm der Computer signalisierte, dass erneut jemand vor der Schleuse stand und um Antwort auf seinen Ruf bat.

Er aktivierte die Schleusenkamera und sofort erschien ein Bild von einem Menschen auf dem Monitor. "Schon wieder ein Bewerber", grummelte Peter so leise vor sich hin, dass Francine es nicht hören konnte. 'Und dann auch noch ein Psychologe', führte er den Gedanken im Kopf weiter fort.

Dann öffnete er einen Kanal und antwortete: "Hier ist der Sicherheitschef der Ivory. Bleiben Sie, wo Sie sind, es wird Sie gleich jemand abholen kommen."

Schon hatte er wieder die Verbindung unterbrochen und eine andere zu Charly hergestellt, damit dieser sich um den Neuen kümmern konnte. Schnell erklärte er dem Roboter, was er tun sollte und schaltete dann wieder ab, damit Charly nicht wieder auf die Idee kam, ihm ein Gespräch aufzudrücken.

"Ma'am", sagte er dann zu Francine, "gerade hat sich ein weiterer Bewerber gemeldet. Er wird von Charly zur Brücke gebracht."

Auch wenn er die Antwort auf seine Meldung beinahe schon wusste, erstattete er trotzdem Bericht. Nicht, dass es am Ende hieß, er hätte es nicht getan. Vor allem konnte er sich dann wieder seiner Arbeit zuwenden.

--- Maschinenraum

Lestat, der noch immer mit den Warpfeldberechungen beschäftigt war und von Charlys Geplapper beinahe gar nichts mehr mitbekommen hatte, schreckte hoch, als plötzlich Tarsons Stimme aus Charlys Kommunikator zu hören war.

'Hmm, vielleicht sollte ich mal nach dieser Rekelen Nar suchen, ehe ich hier den Maschinenraum auf den Kopf stelle', dachte Lestat bei sich, während Charly noch seine Anweisungen von Tarson erhielt.

"Ich muss jetzt leider schon wieder weiter, aber ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, es war ja so schön, mit Ihnen zu reden", plapperte der kleine Roboter munter weiter. "Falls Sie noch irgendetwas brauchen sollten, können Sie mich jederzeit rufen. Und nun ..."

Charly war schon zur Tür hinaus und somit außer Hörweite von Lestat, der sich gerade wieder darüber wunderte, was für ein eigenartiger Roboter Charly doch war.

"Computer, wo befindet sich Rekelen Nar?"

"Rekelen Nar befindet sich auf Deck 2 in der Krankenstation."

'Krankenstation? Gab es schon irgendwelche Unfälle, oder weist sie gerade unseren Doc ein?' Lestat rief kurz einen Plan des Schiffes auf, um herauszufinden, wo sich die Krankenstation genau befand. Danach verließ er den Maschinenraum in Richtung Turbolift.

--- Turbolift

"Deck 2, Krankenstation", befahl Lestat, und sofort setzte sich der Turbolift in Bewegung. 'Ich sollte mir jetzt schnell ein Quartier geben lassen, schließlich muss ich nachher nochmal kurz auf die Station und mir mein restliches Gepäck holen. Hoffentlich läuft mir dieser miese kleine Ferengi nicht wieder über den Weg.'

Lestat war ganz in Gedanken versunken, als sich die Türe des Turbolifts auch schon wieder öffnete.

--- Deck2, Krankenstation

Als Lestat die Krankenstation betrat, hätte er beinahe eine ziemlich große junge Frau über den Haufen gerannt. Er schaffte es gerade noch, sich und die junge Frau abzustützen. Eine Welle verschiedenster Emotionen schlug ihm in diesem Augenblick entgegen. Aber eine davon war wohl am stärksten: Verwirrung. Sie schien jedoch nicht von der jungen Frau zu stammen, die er gerade beinahe überrannt hätte, sondern von zwei weiteren Frauen in diesem Raum, die Lestat erst jetzt bemerkte. 'Eine Cardassianerin. Das wird dann wohl Rekelen Nar sein, wenn ich den Namen richtig zuordne.'

"Mein Name ist Lestat Aures und der Captain meinte, ich soll mich bei Ihnen melden wegen eines Quartiers", stellte sich Lestat vor, während er die Cardassianerin anschaute. "Wenn ich aber gerade stören sollte, dann melde ich mich später noch einmal bei Ihnen."

Verblüfft blickte Shania den Mann an, der sie beinahe umgerannt hatte und sie noch immer ganz in Gedanken festhielt. Sie sah in ein paar Augen, die sich angenehmerweise auf ihrer eigenen Augenhöhe befanden. Es geschah nicht oft, dass ein Mann genau ihre Größe aufwies.

Doch noch interessanter fand sie seine Augenfarbe. Schwarz. Sie müsste sich sehr täuschen, wenn es sich bei ihm um keinen Betazoiden handelte. Das passte ja wieder mal zu Francine Monserat. Sie wollte nicht nur die Kontrolle über die Handlungen ihrer Besatzung wie bei ihrem Bruder, sondern auch über ihre Gedanken.

Die Miene der Amerikanerin verfinsterte sich wieder. Ihr Galgenhumor war schlagartig weggeblasen. Es hatte sich sehr viel verändert, seit sie das Schiff verlassen hatte. Sie fragte sich, ob ihr das gefiel. Gleichzeitig war sie sich auch bewusst, dass sie schon alleine aus Loyalität zu Gerald versuchen würde, eine Anstellung an Bord zu bekommen, um ihn am Laufenden über die Aktivitäten seiner Schwester zu halten.

Wahrscheinlich brauchte es nur einige dezente Andeutungen und ihr guter alter Gerald würde das nächste greifbare Shuttle kapern, um seine Position wieder einzunehmen. Ein zufriedenes Lächeln hellte ihre Miene wieder auf.

"Sie stören keineswegs. Da ich Jahre auf diesem Schiff verbracht habe, kenne ich mich hier sehr gut aus und finde den Weg zur Brücke auch alleine", warf sie ein, "das heißt, wenn Sie mich wieder loslassen ... Mister Lestat."

"Oh, entschuldigen Sie bitte." Lestat senkte seine Hand, mit der er bis zu diesem Augenblick die junge Frau festgehalten hatte. Während er seine Hand noch senkte und einen Schritt zur Seite tat, um den Durchgang wieder freizumachen, empfing er eine leichte Feindseligkeit von der Frau vor ihm. 'Sie hält mich für einen Spitzel des Captains. Hmm. Vielleicht werd ich sie irgendwann aufklären', dachte er.

"Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Captain." Die letzten beiden Worte hatte Lestat absichtlich etwas betont, da sein Bild von Francine dem eines feuerspeienden Drachen ähnelte, der über eine Kiste mit Gold wachte – ein Bild, das Lestat vor einigen Jahren einmal in einer geschichtlichen Datei der Erde gefunden hatte.

Danach drehte er sich wieder um und schaute Rekelen abwartend an.

"Danke", meinte Shania nur schlicht und nahm die Gelegenheit wahr, sich aus der unangenehmen Gesellschaft der Cardassianerin zu befreien. Immerhin war die Tür schon in greifbarer Nähe. Sicher würde dieses Weib ihr nicht so schnell folgen, wenn sie noch eine neue Bewerberin bei sich hatte und sich auch um diesen Lestat kümmern musste.

Noch immer nicht ganz sicher auf den Beinen verließ Shania doch sehr schnell die Krankenstation und fand sich auf den Gang wieder.

"He, Moment mal!", rief Rekelen der Terranerin empört nach und setzte sich in Bewegung, um ihr mit ein paar großen Schritten hinterherzueilen. Lestat, der immer noch in der Tür stand, und der verwirrt dreinschauenden Megan blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, wenn sie ebenfalls auf die Brücke gelangen beziehungsweise ein Quartier zugewiesen bekommen wollten.

--- Gang vor der Krankenstation

Mit noch immer brummenden Schädel versuchte Shania, so schnell wie möglich Abstand zur Krankenstation zu gewinnen. Die Wände des Ganges wackelten bedenklich und erschwerten ihre Flucht nach vorne.

Shania schwankte mehr, als sie ging, und so war es ein Leichtes für die Cardassianerin, sie zu umrundenden und sich vor ihr aufzustellen. Mit in die Hüften gestemmten Fäusten zwang sie die andere, stehenzubleiben.

"Ich glaube Ihnen ja, dass Sie sich hier auskennen, aber Sie können doch nicht einfach so losmarschieren. Miss Phearson sagt, Sie brauchen Ruhe, und nicht ein Rennen auf die Brücke! Der Captain ist auch noch gleich für Sie da. Jetzt warten Sie bitte einen Augenblick, bis ich Mr Aures ein Quartier zugewiesen habe, dann können wir gemeinsam auf die Brücke gehen. Mrs Phearson wird auch mitkommen und so können wir auch sicherstellen, dass Sie nicht gleich wieder zusammenbrechen."

Rekelen schimpfte in gutmütigem Tonfall, als spreche sie zu einem kranken Kind. Sie hatte ohnehin ein ruhiges Gemüt und konnte der anderen schlecht böse sein, während sie darauf wartete, dass sie jeden Augenblick wieder zusammenklappte. Hilfesuchend sah sie abwechselnd auf Megan und zurück zu Shania.

Lestat, der den Frauen hinaus auf den Gang gefolgt war, sah, wie die große junge Frau schwankend den Gang entlangging. 'Die sieht nicht sonderlich fit aus, hoffentlich klappt die nicht gleich zusammen', dachte er sich und näherte sich ihr, um sie notfalls auffangen zu können, sollte sie zusammenbrechen.

"Sie müssen mich nicht unbedingt zu meinem Quartier begleiten. Sagen sie mir einfach, wo ich es finde. Sie haben hier, wie ich sehe, Wichtigeres zu tun, als mich durch das Schiff zu führen."

Lestat schaute die Cardassianerin abwartend an, während er darüber nachdachte, wer diese ziemlich krank wirkende Frau nun war, die ihn so schroff angesprochen hatte und ihn für einen Spion hielt. 'Miss Phearson, das scheint die Trill zu sein, ist wohl unsere Bordärztin. Die Cardassianerin scheint wirklich Rekelen Nar zu sein – damit lag ich schon einmal richtig.'

--- Sternenbasis 375, vor der Schleuse der Ivory

"Vielen Dank! Ich werde ..." Bill musste feststellen, dass er mit der bereits wieder leblosen Konsole redete. Er stand noch einen Augenblick unschlüssig vor der Schleuse und befummelte das Herstellerschild am Terminal.

'Na, wenigstens holt mich jemand hier ab.' Beim letzten Bewerbungsgespräch war er einfach kommentarlos an Bord gebeamt worden. Diese Art von Ortswechsel behagte Bill nicht besonders, weil er anschließend immer erst wieder seinen Orientierungssinn zurechtrücken musste. Er versuchte sich daher soweit wie möglich mit endlicher Geschwindigkeit zu bewegen.

Bill wandte sich der Schleuse zu und versuchte, einen möglichst freundlichen Eindruck zu machen – schließlich wusste er nicht, wer ihm gleich gegenübertreten würde.

Seit der Anweisung des Sicherheitschefs war noch nicht viel Zeit vergangen, als die Schleuse ihre Aktivierung auch schon durch ein kaum wahrnehmbares Zischen des Mechanismus' ankündigte. Bill zupfte sich noch schnell die Jacke zurecht. Nachdem die Schleuse den Eingang zur Ivory freigegeben hatte, musste er als erstes seinen Blickwinkel etwas korrigieren. Was dort auftauchte, war nämlich etwas kleiner, als er eigentlich erwartet hatte.

"Oh! Ich dachte ... Hallo, ich bin Stalvey – äh – Bill, ich möchte mich an Bord als Psychologe bewerben – und wer bist ..."

Der Roboter machte eine zackige Bewegung, die man unter Umständen als Knicks hätte deuten können, soweit das bei seinem Rollgleiter möglich war. Drei seiner vier Arme rotierten dabei wie Windmühlenflügel in der Luft, wodurch Bill sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte.

"Hallo Herr Bill, es freut mich ungemein, Ihre Bekanntschaft zu machen! Ich bin Charly und ich soll Sie unverzüglich zur Brücke begleiten. Eigentlich bin ich Raumpfleger auf diesem wunderschönen Schiff, aber für Herrn Tarson und den Captain mache ich das doch gerne. Abwechslung ist immer gut und wo ich doch auch so neugierig auf alle Bewerber und unsere neue Besatzung bin! Sie wollen sich also als Bordpsychologe bewerben? Das ist bestimmt eine spannende Stelle, da bin ich mir ganz sicher, auch wenn der Verschleiß an Bordpsychologen hier recht hoch ist. Einige andere Bewerber sind auch schon hier. Da ist Lestat, der neue Techniker, mit dem man sich auch so toll unterhalten kann wie mit Ihnen und dann ..."

Bill merkte erst jetzt, wie ihm nach und nach die Gesichtszüge entgleist waren und versuchte mit mäßigem Erfolg sie wieder gerade zu rücken.

--- Ivory, Gänge

"Aber folgen Sie mir doch erstmal in unser schönes Schiff. Ach ja, und dann war da noch eine Bewerberin, ich muss sie auch unbedingt bald kennen lernen. Und unsere gute Shania ist auch wieder hier, leider mussten sie erst alle auf die Krankenstation! Shania scheint es nicht besonders gut zu gehen – hoffentlich ist es nichts Ernstes, ich mag sie doch so sehr, die Arme hat wohl so viel ..."

Bill war dem tratschenden Roboter eine Weile kommentarlos hinterhergetrottet, als der Turbolift in Sicht kam.

"Dann heißt sie also Shania? War da nicht noch jemand? Ich meine gesehen zu haben, dass drei Leute vor der Schleuse weggebeamt wurden."

Charly rollte vergnügt plappernd weiter, bis sie den Turbolift fast erreicht hatten. Bill schwante inzwischen, dass der Roboter offenbar vorhatte, ihn bis auf die Brücke zu begleiten. Er blieb stehen.

"Also sag mal, Charly! Du sagst, du magst Shania so, aber erzählst mit hier etwas über das Polieren von Jeffriesröhren? Ich finde ja jetzt alleine zur Brücke, willst du nicht mal sehen, wie es deiner Freundin geht?"

"Oh! Ooooh!" Die Augen des Roboters flackerten aufgeregt. "Ja natürlich! Wir sehen uns ja dann hoffentlich noch öfter, Herr Bill! Ooohh!"

"Äh, Bill ist der ...!" Doch Charly war schon in Richtung Krankenstation verschwunden. Bill rückte erneut seinen Kragen zurecht und bestieg den Turbolift, um auf dem direktesten Weg zur Brücke zu gelangen.

--- Brücke

Die Tür des Lifts öffnete sich sofort wieder und gab den Blick auf die Brücke frei. Bill machte einen etwas zögerlichen Schritt hinein und sah sich um. An der einen Seite werkelte ein breitschultriger, großer Mann an einigen Konsolen, der seinem Aussehen nach wohl zum Sicherheitspersonal gehören musste. Hinter der Lehne des Sitzes in der Mitte der Brücke ragte eine silbrige Frisur in die Höhe. Bill räusperte sich in ihre Richtung gewandt.

"Ähem. Guten Tag! Mein Name ist Bill Stalvey. Charly war so nett, mich zur Brücke zu bringen."

"Soso", erklang Monserats Stimme hinter der Lehne hervor. "Dann kommen Sie doch mal näher, damit ich Sie anschauen kann."

Das Klappern ihrer Nadeln verstummte, und der Captain wartete, bis Bill ihren Anweisungen folgte und in ihr Blickfeld geschritten war. Ihre kleinen Augen musterten ihn aufmerksam wie die eines Raubvogels. Schon wieder so ein großer Mann – aber natürlich war für Francine alles, was ihre Einmeterfünfundsechzig überschritt, groß.

"Und wo haben Sie Charly gelassen? Macht dieser Roboter denn gar nichts richtig?", schimpfte sie ein wenig herum und wartete gar nicht auf die Antwort. "Nun ja, es ist gleichgültig. Welcher Posten interessiert Sie denn, junger Mann, und aus welchem Grund glauben Sie, dafür qualifiziert zu sein? Erzählen Sie doch mal."

Während sie sprach hatte sie die Wolle auf ihrem Schoß neu aufgefädelt und widmete sich nun wieder ganz dem entstehenden dunkelblauen Pullover. Es bestand jedoch kein Zweifel, dass sie der Antwort aufmerksam lauschen würde.

--- Irgendwie

Gleißendes Licht ... Hell genug, um jeglichen Sensor, ob biologisch oder technisch, in Sekundenbruchteilen erblinden zu lassen. Es befand sich in diesem Mahlstrom aus Energie. Zu stark war der Sturm, der um Es tobte. Machtlos trieb Es einem unbekannten Ziel entgegen.

--- Irgendwo

Es war von Schwärze umgeben. Eine absolut undurchdringliche Schwärze ähnlich der des Alls, ohne Unterbrechung, ohne auch nur einen einzigen Farbtupfer. Es hatte keine Augen, oder zumindest spürte Es bis jetzt keinerlei Sinnesorgan. Hatte Es jemals welche besessen? Es konnte sich nicht erinnern.

Was war Es? Es fand darauf keine Antwort, hatte noch nicht einmal eine Basis, auf der Es hätte argumentieren können.

Die Entität schwebte in dieser Schwärze, bewegte sich in ihr, ohne jemals an einem bestimmten Ziel anzukommen. Die Uniformität der Schwärze gab Ihm keinerlei Anhaltspunkt.

Und doch ... in der Schwärze, in etwas, das ein Mensch am ehesten als das "absolute Nichts" bezeichnet hätte, registrierte Es hin und wieder etwas, was man am ehesten als Windhauch bezeichnen konnte. Vielleicht könnte dieser Windhauch Ihm helfen, zurück ans Licht zu kommen.

Von Mal zum Mal reckte Es sich mehr dem Windhauch entgegen, denn nach einiger Zeit (Wochen? Oder doch schon Jahre?) konnte Es die Vorboten des Windhauchs spüren, kurz bevor er kam. Es ließ sich vom Windhauch tragen, erneut machtlos einem unbekannten Ziel entgegen.

--- Irgendwann

Es hatte sich weiterentwickelt, ein Teil seiner Fähigkeiten wiedergefunden. Es schwamm in einem Meer vielfarbiger Lichtballungen. Größere, kleinere, welche mit stetigen Farben, welche mit schnell wechselnden Farben. Es konnte die Farben oder die Lichtstärken beeinflussen; Es wusste auch von Zusammenhängen zwischen den einzelnen Ballungen. Es selbst war eine immer heller werdende, hellrote Lichtballung, die sich frei inmitten dieses wohlgeordneten Chaos' bewegte.

Noch hatte Es nicht begriffen, was diese Lichtballungen genau waren, was Es selbst war. Es wusste nur, dass Es immer stärker und größer wurde.

Es beschloss, mit einer Reihe von Experimenten zu beginnen, um seine Umgebung besser kennenzulernen. Das rote Licht schwebte zielstrebig auf eine kleine, stabile, gelbe Farbballung zu, die sich zusammen mit einigen Dutzend anderen um einen großen, regenbogenartigen Knoten ordneten.

Ein gleißend heller Blitz fuhr in die gelbe Ballung in der sich für kurze Zeit ein roter Schleier auftat. Es wiederholte dieses Experiment ein paar Mal ...

--- Ivory, Sternenbasis 375

Die Ivory lag nach wie vor angedockt an der Sternenbasis 375, zusammen mit vielen anderen Schiffen, die diesen mehr oder weniger geschäftigen Knoten der interstellaren Raumfahrt umspielten.

Ruhig und friedlich gab sich ihre Umgebung. Und doch, irgendetwas schien in der Nähe zu sein, denn unvermittelt gab es ein paar kleine Schwankungen im Bordgravitationsfeld. Nur ein sensibler Mensch, der darauf achtete, konnte sie wahrnehmen.

--- Gang vor der Krankenstation

Seufzend hielt Shania schließlich in ihrer Bemühung inne und sah ein, dass es kein Entkommen gab. Dabei wirkte die Cardassianerin ebenso schrecklich wie die Oberschwester Entenburg der Privateer, die bei einem Besuch von Slade Szelesem mal hier ausgeholfen hatte. In ihren Augen schmolz man sofort zu einem kleinen, ungezogenen und vor allem hilflosen Kind zusammen.

Beinahe trotzig schob Shania ihr Kinn vor und drehte sich demonstrativ langsam um, nicht bereit, sich der Autorität zu beugen, auch wenn sie durch ihr Stehenbleiben es eigentlich in gewisser Weise schon getan hatte. Nur unter Protest, wie sie sich einredete.

"Er", sie deutete auf den Betazoiden, der aussah, als würde er am liebsten mit einem Kissen hinter ihr herlaufen, "kann mich doch auf die Brücke begleiten, wenn Sie mir schon nicht zutrauen, in meinem Zustand ... den Weg zur Brücke zu finden, obwohl ich eher glaube, dass Sie mir einfach nicht über den Weg trauen, was wohl beidseitig ist. Aber da ich wohl nicht gerade schnell auf den Beinen bin, kann ich entweder neben jemandem zur Brücke gelangen oder mit einem lamentierenden Jemand im Rücken ..."

An der Tür zur Krankenstation tauchte jetzt auch noch der Kopf der Trill auf, die anscheinend nicht gerade begeistert war, dass man sie völlig vergessen hatte, und schnell zu den anderen aufschloss. Trotzdem überspielte sie ihre Verwunderung mit einem Lächeln und blickte abwartend auf Rekelen, ob sie jetzt zur Brücke gebracht werden würde.

Die Amerikanerin fixierte die Cardassianerin, noch bevor sie auch noch einen Abstecher in ein Quartier unternehmen würden. "Ich habe es immer so gehalten, gleich eine Gruppe neuer Leute zu ihren neuen Quartieren zu führen und nicht jeden einzeln. Es ist ineffizient. Gerald meinte, dass man sich hier an Bord erst gar nicht auf Luxus gewöhnen soll. Und ich würde mich wohl schwer täuschen, wenn sich in dieser Hinsicht etwas geändert hätte. Es sei denn, das Quartier ist hier in der Nähe."

Shania schüttelte mit einer ruckartigen Bewegung ihr lockiges dunkelblondes Haar auf, dass es wie die Mähne eines wilden Löwen wirkte und einen widerspenstigen Eindruck machte. Auch wenn ein männlicher Löwe nur halb so gefährlich war wie sie, da nur die Weibchen dieser Spezies jagten.

Rekelen seufzte nur. Langsam, aber sicher verlor sie die Geduld mit der Frau. Doch noch war ihre Reizschwelle nicht überschritten, und sie holte tief Luft, um die Gelassenheit wiederzugewinnen, die einer cardassianischen Frau entschieden besser stand als Wut.

"Danke für Ihren Rat, Miss Twillan, aber ich denke doch, Mr Aures wird sein Quartier alleine finden, sobald er weiß, wo es ist. Und da er hier ist um mit mir zu sprechen, wird er Sie auch kaum auf die Brücke bringen ..."

Sie verstummte, als hinter ihr ein Geräusch erklang. Erleichterung breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie Charly erkannte. Nie war ihr die Anwesenheit des Putzroboters so praktisch vorgekommen.

"Charly!", begrüßte sie ihn lächelnd und bevor der Roboter noch zu Wort kommen konnte. "Du kommst gerade richtig, um Miss Twillan auf die Brücke zu begleiten. Oh, und Miss Phearson auch."

Rekelen lächelte der Trill zu, die ihr Lächeln erwiderte, aber hinüber zur Krankenstation deutete. "Ich will nur noch eben die Geräte wegräumen", erwiderte sie. Megan hinterließ ungern eine fremde Krankenstation in unordentlichem Zustand; das wäre nicht sehr höflich gegenüber dem nächsten Arzt.

Die Cardassianerin nickte. "Dann bringe ich Sie gleich selbst hin."

Zufrieden warf sie Shania noch einen letzten Blick zu und vergaß die Frau dann, als sie sich endlich Lestat zuwandte. Oder besser, zwang sich, sie zu vergessen, bevor sie wirklich noch wütend wurde. Der Betazoide wirkte sympathisch, doch ihr wurde ein wenig mulmig, als sie sich daran erinnerte, dass diese Spezies Gedanken lesen konnte. Ihr Wissen über diese Fähigkeit hielt sich allerdings in Grenzen und stammte hauptsächlich aus terranischen Abenteuerromanen.

"Wo ist denn hier die nächste Konsole", überlegte sie laut und sah sich um. "Dann kann ich Sie direkt in die Quartierliste eintragen, wenn ich Ihnen Ihr Zimmer zugeteilt habe ..."

Völlig bewegungslos verharrte Shania auf der Stelle. Erst, als sie meinte, ersticken zu müssen, merkte sie, dass sie bei seinem Auftauchen unwillkürlich den Atem angehalten hatte und stieß keuchend die Luft aus. Sein rotes Auge, das sie zu durchbohren schien und Erinnerungen in ihr weckte, die sie längst verdrängt hatte, näherte sich ihr ganz langsam.

Wie unter Hypnose trat sie einen Schritt zurück, um die Distanz zwischen ihnen wieder zu vergrößern. Vor ihren erschrocken aufgerissenen Augen sah sie wieder die schwerverletzte, blutüberströmte Savannah am Boden liegen und Chi-Lo vor sich, dessen Kehle von einer eisernen Klammer umschlossen wurde, die ihm langsam die Luft zum Atmen abdrückte, während er hoch über dem Kopf den Roboters in der Luft hing. Shania fühlte sich genauso wehrlos wie in dem Moment, als sie hatte hilflos mit ansehen müssen, wie Technik außer Kontrolle geriet und zu einer ernstzunehmenden Lebensgefahr wurde.

Einer Gefahr für den Mann, mit dem sie damals mehr zu verbinden schien als nur eine Lüge ...

Shania war hin- und hergerissen von ihren Gefühlen. Alles schlug wie eine Woge hoch und über ihrem Kopf zusammen. Wieder durchlebte sie diesen aufwühlenden Moment im Hangar der Ivory. Die Angst. Die Liebe. Das Erstarren. Und ihre eigene Unfähigkeit, etwas zu unternehmen und zu helfen.

Als schließlich Charly drei seiner Tentakel begrüßend hob und auf Shania zuschoss, während einer von ihnen ein seltsam zuckendes Eigenleben entwickelte, schnellte sie abrupt in die Wirklichkeit zurück und verlor endgültig die Beherrschung. Mit einem kleinen spitzen Schrei wandte sie sich um und mobilisierte all ihre Kraft, um ihm zu entkommen.

Aber das mechanische psychopathische Grauen auf einem Rad hatte kein Erbarmen mit seinem Wild und verfolgte es umbarmherzig weiter – mit einer Geschwindigkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte.

"Miss Shania, was ist mit Ihnen passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben und mir niemand sagen wollte, wohin Sie und all die netten anderen Leuten verschwunden sind? Kann es sein, dass Ihre Unpässlichkeit daher kommt, dass wir jetzt noch keine gute ärztliche Versorgung an Bord haben, weil wir ständig unser Personal austauschen und so wieder froh sein können überhaupt jemand zu finden, nachdem dieser scheußliche Unfall mit den Wüstenkätzchen, die angeblich Ratten sein sollten, und dem damaligen Arzt, der eigentlich ..."

Shania hörte nicht zu, lief wie um ihr Leben und erreichte schließlich den Turbolift, bevor Charly sie erreichen konnte. Seltsamerweise öffnete er einfach die Türen und ließ sie ein.

--- Turbolift

Wenn die Amerikanerin sich in diesem Moment an ihre alte Feindschaft mit dem weiblichen Bordcomputer erinnert hätte, dann hätte sie die Falle als eine solche erkennen müssen, doch so glaubte sie sich schon in Sicherheit, bis sie die süffisante Stimme hörte und sich ihr beim Inhalt der Botschaft alle Haare aufstellten:

"Nur keine Eile, Charly. Ich warte doch immer gerne auf dich. Deine Freundin kann auch mit, wenn du unbedingt willst ... Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass sie sofort wieder auftaucht, wenn neue Männer an Bord sind ..."

Furchtsam presste sich Shania gegen die hintere Wand der Liftkabine und schaffte es nicht mal, zu versuchen, dem Computer die Anweisung zu geben, sie zur Brücke zu bringen, die er eigentlich nicht ignorieren durfte. Für einen Moment dachte sie daran, aus ihrem Gefängnis zu fliehen, bevor Charly ihr noch zu nahe kam, doch da rollte er auch schon herein.

Trotz seiner geringen Größe jagten seine Tentakel ihr Furcht ein. Er redete wie ein Wasserfall auf sie ein, doch sie konnte seine Worte nicht verstehen und hörte nur ihr eigenes Herzklopfen in ihren Ohren dröhnen, bis sie schließlich ihre Ohren zuhielt und sich in einer Ecke der Kabine zusammen kauerte, verängstigt wie ein kleines Kind.

Sie schloss die Augen und glaubte, dadurch alles verdrängen zu können. War in dem Glauben, dass nichts zu sehen gleichzeitig bedeutete, auch selbst nicht gesehen zu werden. Als sich der Lift in Bewegung setzte und sich nach kurzer Zeit die Türen auf der Brücke öffneten, reagierte sie nicht, sondern hockte weiter dort.

Tränen liefen über ihre Wangen.

--- Gang vor der Krankenstation

Völlig verdutzt schaute Lestat der jungen Frau hinterher, die er seit gerade eben als Miss Twillan kannte und wunderte sich, wie jemand solche Angst vor einem Roboter verspüren konnte. Denn das hatte er ganz deutlich gespürt: Sie hatte panische Angst vor Charly.

"Sie hatte Angst!", flüsterte Lestat gerade laut genug, dass es Rekelen, die neben ihm stand, hören konnte.

Lestat schaute immer noch auf die mittlerweile schon wieder geschlossene Türe des Turbolifts und wusste nicht, was er weiter tun sollte, als er sich daran erinnerte, dass Rekelen eine Konsole suchte.

"Hier ist eine Konsole." Lestats technikversiertes Auge hatte gegenüber der Türe zur Krankenstation eine Terminalkonsole entdeckt und er zeigte nun darauf.

'Was mit dieser Miss Twillan wohl los war? Sie schien geradezu um ihr Leben zu fürchten, dabei wirkte sie bei meinem ersten kurzen Kontakt zu ihrem Gehirn doch zumindest geistig kerngesund ...' Lestat dachte weiter über das gerade Erlebte nach.

Rekelen war an sich eine Cardassianerin, die versuchte, keine Vorurteile zu haben, wenn sie auf andere Rassen zuging. Doch diese Shania schaffte es nicht nur, dass sie sich eine innere Liste zulegte, sondern dass sie diese auch ständig erweiterte. Kopfschüttelnd ging sie hinüber zu der Konsole.

Sie versuchte, die Terranerin einfach zu vergessen, während sie den Quartierplan aufrief. Bis auf vier Namen wurde ihr prompt eine leere Liste angezeigt. Sie hatte vor, sie nur kurz zu überfliegen, als sie stutzte. Bislang hatte sie diese Liste noch nie aufgerufen, und wie es aussah, war noch niemand auf die Idee gekommen, ihren eigenen Namen einzutragen. Stattdessen zeigte der Computer unter "Quartier Nr. 4" den Namen "Shania Twillan" an.

Sie seufzte und begann plötzlich zu hoffen, die Terranerin möge nach ihrem Besuch beim Captain genug von der Ivory haben und dann einfach wieder verschwinden. So eine wirre, emotionale Frau – wahrscheinlich würde es ihr den Rest geben, wenn sie erfuhr, wer mittlerweile ihr Quartier bewohnte.

Schnell hatte sie den Eintrag korrigiert und Lestat ebenfalls eingetragen. Lächelnd wandte sie sich dem Betazoiden zu. "Ich habe Ihnen Quartier Nr. 5 zugeteilt. Die Quartiere liegen alle auf Deck 3, sie werden es leicht finden. Und wir es aussieht, sind wir jetzt Nachbarn."

Rekelen beschloss, Quartier 17 extra für Shania zu reservieren – nur für den Fall, dass sie doch an Bord bleiben wollte. Es war das Quartier, das den größten räumlichen Abstand zu ihrem eigenen hatte. Außerdem, erinnerte sie sich beinahe schadenfroh, funktionierte dort der Replikator momentan nicht.

Lestat war mit seinen Gedanken immer noch bei der Szene, in der Miss Twillan schreiend vor Charly weggelaufen war, als er registrierte, dass Rekelen ihm gerade sein Quartier zugewiesen hatte.

"Quartier Nummer 5 also – ich denke, ich werde es finden. Was machen Sie eigentlich auf dem Schiff? Sind Sie bei der Sicherheit?" Lestat spürte zwar nicht das bei Sicherheitsleuten übliche Misstrauen, er dachte jedoch noch daran, wie Rekelen vorhin mit Miss Twillan umgegangen war, und er fühlte sich an einen Sicherheitsoffizier erinnert. "Ach ja, ich habe ja noch gar nicht erwähnt, welchen Posten ich auf dem Schiff habe. Ich bin der neue Techniker und der Maschinenraum und alle Jeffriesröhren dieses Schiffes sind die Orte, an denen Sie mich wohl am Häufigsten antreffen können. Nur für den Fall, dass Sie mich suchen sollten", meinte er grinsend.

'Die erste Cardassianerin, die ich kennenlerne und die wirklich nett zu sein scheint. Ich werde mal nachsehen, was sie sich gerade so denkt ... oh nein, besser nicht, ich sollte nicht schon am ersten Tag in jedem Gehirn hier herumstöbern', dachte sich Lestat und unterband den Reiz, seine Psi-Kräfte wieder einzusetzen.

"Oh, nein, ich bin nicht bei der Sicherheit", lachte Rekelen und wunderte sich, wie der andere auf diese Idee gekommen sein mochte. Sie sah suchend an sich hinab und bemerkte erst jetzt, dass sie noch immer ihre Sportkleidung trug. "Ich kam nur gerade von einer Joggingrunde zurück. Wissen Sie, ich mag es nicht, wenn ich die Holodeckenergie für so etwas verschwende. Ich arbeite sozusagen für den Captain als 'Mädchen für alles', wie Miss Monserat das nannte. In Wirklichkeit bin ich Sprachwissenschaftlerin."

Der redegewandte Betazoide begann, ihr sympathisch zu werden, und sie lächelte ihn beinahe erleichtert an. Nach all dem Durcheinander zuvor in der Bar und dann mit dieser Shania Twillan war es eine Wohltat, dass jemand nicht nur keine wirren Vorstellungen von der Boshaftigkeit ihres Volks zu haben schien, sondern mit dem man nebenbei noch reden konnte.

Sie wollte gerade weiter sprechen, als die Türen der Krankenstation sich öffneten und die Trill zurückkehrte.

--- Brücke

Angestrengt war Peter am Arbeiten, während er mit einem Ohr dem Gespräch von Francine folgte. Es interessierte ihn zwar nicht wirklich, doch da er hier auf dem Schiff der Sicherheitschef war, ging ihn schließlich alles was an.

Gerade hatte ihn wieder ein Programm von Martengh aus dem System geworfen, und so musste Peter wieder von vorne anfangen. Es ärgerte ihn ungemein, dass er nicht schneller vorankam, doch er musste Martengh zugute halten, dass er saubere Arbeit geleistet hatte. Manche Programme waren so gut programmiert, dass sich Peter beinahe die Zähne ausbiss, sie zu entfernen oder so umzuprogrammieren, dass er mit ihnen arbeiten konnte.

Wieder vertiefte er sich in ein Programm, als sich plötzlich der Turbolift öffnete und ein wimmerndes Weinen über die Brücke hallte. Sofort sprang Peter auf und stellte sich vor den Lift. Er war überrascht. Er sah er eine große Frau, die in der Ecke des Lifts kauerte, sich die Ohren zuhielt und heulte und Charly, der mit seinen Tentakeln herumfuchtelte und wie immer wild am Quasseln war.

Mit einem scharfen Ton unterbrach er den Roboter und zog ihn aus dem Lift. Dann bückte er sich, ergriff Shania am Arm und zog sie hoch.

"Hallo", rief Peter und schüttelte die Amerikanerin. "Hören Sie auf zu weinen. Es ist alles in Ordnung."

Doch die Frau beruhigte sich nicht wirklich. Sie wurde sogar noch lauter und Peter sah keine andere Chance, sie zum Schweigen zu bringen, als sie noch mehr zu schütteln. Dann plötzlich öffnete sie die Augen und schaute ihn entsetzt an.

--- Erde, Insel im Pazifischen Ozean, Entzugsanstalt, drei Wochen zuvor

"Also, Daniel, Sie werden gleich von einem Gleiter abgeholt, der bringt Sie dann zum Raumhafen, und danach können Sie hingehen, wo immer Sie wollen. So, wie Sie es sich schon lange gewünscht hatten."

Der Pfleger namens Alex schaute Daniel freundlich an und freute sich, wieder einen geheilten Patienten in die Welt entlassen zu dürfen, aber er war auch ein wenig betrübt. Daniel war einer jener Patienten, die auch selbst hin und wieder für Ordnung gesorgt hatten, wenn es zu Ausschreitungen unter den anderen Patienten kam – so etwas sah man selten. 'Er war sicherlich mal ein wirklich guter Sicherheitsmann – das hat er sogar hier schon bewiesen, wo es gar nicht seine Aufgabe war', dachte sich Alex.

"Ich werd schon klarkommen. Als erstes such ich mir einen Job und dann kann ich ja auch die Galaxie erkunden, und wenn ich Glück habe, dann mache ich beides auf einmal, arbeiten und die Galaxie kennenlernen." Daniel war froh, endlich die Insel verlassen zu können, so schön sie auch war – sie war nun mal einem Gefängnis ähnlich mit der Anstalt, oder wie es eigentlich hieß, dem Krankenhaus.

"Ich wünsch Ihnen alles Gute, Daniel, und viel Glück. Passen Sie auf sich auf."

"Danke, und auch nochmals danke für alles, was Sie für mich getan haben. Wenn ich die Zeit dazu finde, werd ich mich mal wieder bei Ihnen melden", versprach Daniel und verabschiedete sich dann, als der Gleiter gerade ankam. "Auf Wiedersehen, Alex!"

"Auf Wiedersehen, Daniel!" Das war das letzte, was Daniel noch von seinem Pfleger gehört hatte, ehe er den Gleiter bestieg und dieser in Richtung Festland davonbrauste.

--- Sternenbasis 375, Bar, heute

Daniel war vor zwei Wochen hier angekommen und noch immer hatte jedermann Bedenken, ihn anzustellen – einen Ex-Alkoholiker, wie sie seinen Unterlagen entnehmen konnten, wollte einfach niemand haben. Verflucht, er war nun schon seit vier Monaten trocken; okay, er war bis vor drei Wochen noch in der Entziehungsanstalt, aber doch nur, weil die Ärzte sichergehen wollten, dass er nicht rückfällig würde.

'Einen Versuch noch, nur noch einen Versuch, danach werde ich das tun, was wohl jeder schon längst getan hätte, wenn er in meiner Situation wäre. Wenn es beim nächsten Mal nicht klappt, werde ich mir gefälschte Papiere besorgen, sonst bekomme ich nie einen Job und muss weiter von der Sternenflottenrente leben. Ich will endlich wieder unabhängig sein und mir keine Gedanken darüber machen, wo mein Geld herkommt', dachte er sich, doch Daniel war viel zu ehrlich, als dass er das, was er sich eben versuchte einzureden, jemals getan hätte: etwas zu fälschen. In seiner Zeit bei der Sicherheit hatte er schon Leute verachtet, die nur an so etwas dachten. Seine Ausbildung bei der Sternenflotte und die vielen Jahre, die er in der Flotte gedient hatte, hatten ihn zu einem absolut linientreuen Soldaten werden lassen.

Alles, was seine Vorgesetzten sagten, war bis zu seinem Rauswurf aus der Flotte wie das Wort Gottes für den kleinen Mann gewesen. Seitdem er jedoch nicht mehr in der Sternenflotte war, hatte er seine Ansichten etwas geändert; er hatte zwar immer noch vor, jeden Befehl seiner Vorgesetzten zu befolgen, sollte er jemals wieder einen Job bekommen, doch wollte er nun gründlicher darüber nachdenken, was ihm da eigentlich befohlen worden war. Ein Fehler wie der, der zu seinem Rauswurf bei der Flotte geführt hatte, sollte ihm nicht noch einmal passieren.

Er blätterte weiter in seinem PADD, das er mit den aktuellen Stellenangeboten gefüttert hatte, und hoffte einige zu finden, bei denen er noch nicht nachgefragt und eine Absage bekommen hatte. 'Ivory, ein bajoranischer Frachter. Klingt interessant. Die suchen nach einer ganzen Crew. Vielleicht fällt da ja noch ein Posten für mich dabei ab, und wenn ich nur als Küchenhilfe arbeite, ist immerhin besser als nichts, und ich komme vielleicht endlich hier raus. Diese Station deprimiert mich.'

Daniel nahm sein Glas in die Hand, schaute ein letztes Mal den giftgrünen Inhalt an, setzte sich das Glas an die Lippen, und trank die letzten Schlucke seines Kiwisaftes aus. Danach bezahlte er und verließ die Bar.

--- Gänge

Während Daniel so durch die Gänge der Station streifte, fühlte er plötzlich ein sanftes Vibrieren, kaum wahrnehmbar. 'Was war denn das? Fühlte sich an, als hätte sich in der Nähe der Station eine kleine Explosion ereignet ... Daniel, Daniel, du denkst viel zu sehr wie ein Sicherheitsoffizier, du alter Paranoiker, das war sicherlich nur ein technischer Fehler und nichts weiter', ermahnte sich der kleine Mann grinsend selbst.

--- Schleuse zur Ivory

Daniel war endlich an der Schleuse angekommen, an der die Ivory angedockt hatte, und sah sich nun um. 'Niemand hier. Entweder die haben alle Bewerber wieder weggeschickt, da sie ihre Crew schon haben, oder aber die sind schon alle drinnen um sich vorzustellen.' Daniel hoffte inständig, hier endlich einen Job zu bekommen, um die Station möglichst schnell verlassen zu können.

Er näherte sich dem Kommunikationsterminal, das die Schleuse mit der Ivory verband, und drückte den Sprechknopf. "Guten Tag, mein Name ist Daniel Smith und ich bin hier aufgrund Ihrer Anzeige, die besagt, dass Sie noch Crewmitglieder suchen."

Gespannt ließ Daniel den Knopf los, und nur seine gute Körperbeherrschung hinderte ihn daran, zu zittern, so nervös war er. Er versuchte, sich zu beruhigen, indem er an all die gefährlichen Situationen dachte, die er schon überlebt hatte. Leider wusste er nur zu genau, dass diese Situationen etwas völlig anderes waren als ein Bewerbungsgespräch. Daniel konnte so etwas nicht, davon war er zutiefst überzeugt, und sein Selbstvertrauen sank in diesem Moment in den Keller.

--- Ivory, Brücke

Die Ereignisse hatten sich für Bills Geschmack in den letzten Sekunden ein wenig zu sehr überschlagen. Kaum, dass er dazu angesetzt hatte, auf die Frage des Captains einzugehen, hatte sich der Turbolift auch schon wieder geöffnet, woraufhin er fast von dem schwarzhaarigen Schrank umgerannt worden war.

Auch das Terminal, an dem der Mann gestanden hatte, wurde lebendig – anscheinend war noch ein weiterer Bewerber an der Schleuse eingetroffen. Bill ignorierte diesen jedoch und versuchte, einen Blick in den Lift zu erhaschen, aus dem inzwischen offenbar Charly hinausbefördert worden war.

Dann erkannte Bill die junge Frau, deretwegen es ihn auf die Ivory geführt hatte. Ihr verträumtes Lächeln war jedoch einem völlig verschreckten Gesichtsausdruck gewichen. Bill setzte den Captain fürs Erste auch auf seine Liste momentan zu ignorierender Probleme.

"Miss Shania! Es tut mir so leid, kann ich etwas ..." Bill bekam gerade noch einen Arm von Charly zu packen, mit dem dieser gerade nicht um sich fuchtelte und zog ihn zurück.

"Halt, halt, halt – Charly! Gut, dass ich dich gefunden habe!" Bill drehte den Roboter freundlich, aber resolut zum Turbolift und schob ihn wieder hinein. "Ich glaube, einer der Techniker hat dich vorhin dringend gesucht, du solltest mal im Maschinenraum vorbeischauen. Ich bin sicher, wir schaffen das hier. Sei so nett, ja?" Bill drehte der sich schließenden Tür des Turbolifts wieder den Rücken zu und wandte sich streng, aber ruhig an den Koloss, der immer noch die junge Frau festhielt.

"Was machen Sie denn da? Merken Sie nicht, dass Sie alles nur schlimmer machen? So lassen Sie doch die Frau los!"

Shania war zutiefst verwirrt und verstört. Da war Charly, der einfach frei auf dem Schiff herumlief und den niemand beachtete. Wahrscheinlich hatte ihn Francine Monserat irgendwo im Hangar oder einem Ersatzteildepot defekt gefunden und wieder zusammenflicken lassen, nicht wissend, damit eine Zeitbombe aktiviert zu haben.

Dann war dann dieser riesige schwarzhaarige Mann, der sie offensichtlich am Arm gepackt und heftig geschüttelt hatte, als wenn sie nicht ganz richtig im Kopf wäre. Sie musste zu ihm aufsehen, so groß und beeindruckend war seine Statur. Sein Gesicht war ausdruckslos, soweit sie das hinter ihrem versiegten Tränenschleier sehen konnte. Doch war es falsch, sich vor etwas zu fürchten, dessen Gewaltpotential sie kannte? Das sie selbst mitansehen musste?

Und plötzlich war da dieser andere Mann, der offensichtlich besorgt um sie war. Zudem hatte er es mühelos geschafft, den Roboter aus ihrer Nähe zu schaffen und von der Brücke zu verbannen. Er schien das genaue Gegenteil von ihr zu sein und die Situation zu beherrschen. Nicht mal die Größe des anderen Mannes schien ihn sonderlich zu beeindrucken, und auch nicht der durchdringende Blick der Frau hinter ihm, die Francine Monserat sein musste.

Vielleicht war Francine Monserat sogar das Furchteinflössendste auf der Brücke, wenn man das von ihr wusste, was ihr Gerald an den Tagen erzählt hatte, wo er sich daran machte, seinen Weinvorrat zu dezimieren und in seiner Vergangenheit zu schwelgen. Hinter der alten netten Großmutter verbarg sich eine treibende Kraft und Entschlossenheit, die selbst Gerald in den Weltraum hatte fliehen lassen, um Abstand von ihr zu gewinnen.

Trotzdem sorgte sich dieser fremde Mann nur um sie. Bewunderung machte sich in ihr breit. Ihre Wangen nahmen wieder etwas Farbe an und sie fühlte etwas in sich, das nicht sein durfte. Nicht sein konnte. Dennoch ließ sie die Intensität erschrecken, doch sie schrieb es ihren Erlebnissen der letzten Minuten zu. Eigentlich der letzten Monate, wenn man es genau nahm.

"Ich ... danke Ihnen", sagte sie zu dem Mann und fragte sich, ob diese Stimme wirklich ihr gehörte. Sie klang selbst in ihren Ohren fremd.

Peter warf Bill bitterböse Blicke entgegen, nachdem er Shania losgelassen hatte. Wie führte sich dieser Kerl überhaupt hier auf? Der tat gerade so, als wäre er hier der Chef. Und gerade jetzt hätte ihm Peter direkt zwei Leute nennen können, die hier auf der Ivory über Bill in der Nahrungskette standen. Doch Peter beruhigte sich wieder. Er atmete einmal tief durch und schaute noch mal zu Shania. Sollte doch dieser Bill sich um dieses jammernde Etwas kümmern. Er hatte jedenfalls genug.

Außerdem blinkte auf seiner Konsole erneut ein Lämpchen, welches ihm mal wieder klarmachte, dass jemand vor der Schleuse auf eine Antwort wartete. Also aktivierte er die Komm-Verbindung und sagte etwas unwirsch: "Ja, wir suchen. Warten Sie vor der Schleuse, es wird Sie gleich jemand abholen."

Eine Handbewegung später war die Verbindung unterbrochen.

Kurz überlegte er, wen er diesmal zur Schleuse schicken sollte. Charly strich er gleich von der Liste. Rekelen? Die ist beschäftigt. Hmm, dann konnte er selber auch gehen. Vor allem würde er dann aus diesem Kindergarten herauskommen.

Also meldete er sich kurz bei Francine ab und verließ dann beinahe fluchtartig die Brücke.

'Wenn Blicke töten könnten ...', dachte sich Bill. Nach der forschen Anweisung des Mannes an den nächsten Bewerber über den Terminal war Bill klar geworden, mit wem er zu tun gehabt hatte. 'Na wunderbar, das fängt ja wieder gut an. Nachdem ich schon den Sicherheitschef vor den Augen des Captains zur Minna gemacht habe, kann ja nichts mehr schiefgehen ...'

Er beschloss daher, dass er dem Captain der Ivory auch noch einen weiteren kurzen Augenblick überlassen könnte, um ihre verlorenen Maschen wieder zu finden, und wandte sich weiter an Shania.

"Wollen Sie sich vielleicht einen Moment hinsetzen?" Bill deutete auf einen der Plätze in der Nähe des Turbolifts. Obwohl die junge Frau noch etwas schwankte, versuchte er jedoch nicht, sie zu stützen oder gar auf einen Sitz zu drängen. "Mein Name ist Bill – Bill Stalvey. Freut mich, Sie kennenzulernen." Während er einfach in ausreichender Entfernung blieb, um Shania gegebenenfalls schnell zu Hilfe eilen zu können, sprach er dann doch schließlich den Captain an.

"Ma'am – mir scheint, es wäre besser, wenn wir das Bewerbungsgespräch für einen Moment aufschieben würden. Miss, hmm ... Shania hier geht es offenbar nicht besonders gut."

--- Gänge

Schnellen Schrittes marschierte Peter über die Gänge der Ivory zur Schleuse, die das Schiff mit der Sternenbasis verband. In Gedanken versunken merkte er nicht, wie schnell er wirklich unterwegs war. Ein Außenstehender hätte wahrscheinlich gedacht, der Sicherheitschef würde rennen. Doch Peter registrierte es gar nicht. Das Gefühl, so schnell wie möglich von der Brücke zu kommen, war stärker. Und so war er auch schon kurze Zeit später an der Schleuse angekommen.

--- Schleuse

Mit einem Zischen öffnete sich auf Peters Befehl hin das Außenschott und gab den Blick frei auf die Luftschleuse der Station. Und auf einen Menschen, der etwas überrascht aussah.

"Sind Sie Mister Smith?"

Daniel, der gerade noch darüber nachdachte, wie die Stimme aus dem Interkom geklungen hatte und ob es nicht besser war, nach einer solchen Begrüßung gleich wieder zu verschwinden, wurde plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, als ein Hüne von einem Mann ihn ansprach.

"Ähh – ja, ich bin Daniel Smith und ich – ähhh – wollte mich um einen Job bei der Sicherheit bewerben – ähhh ..." Daniel fühlte sich ganz und gar nicht gut in seiner Haut. Schnell setzte er jedoch noch hinzu: "Falls sie bei der Sicherheit nichts mehr frei haben – ähhh – ich bin eigentlich für jeden Job offen, ich will nur endlich wieder einen Job und von dieser Station runter."

Daniels Gedanken überschlugen sich geradezu – was tat er hier eigentlich? Er wollte sich bewerben und plapperte lauter wirres Zeug und stotterte vor sich hin. Er versuchte, seinen Geist wieder unter Kontrolle zu bringen, und schaute den Riesen dann freundlich fragend, ja, beinahe schon flehend an.

Etwas überrascht über die sprachliche Inkompetenz schaute Peter auf den Mann herunter, der dort vor der Schleuse stand. 'Naja', dachte er. 'Aber körperlich scheint er relativ fit zu sein. Und das ist beinahe wichtiger als übermäßige Sprachgewandtheit.'

Auf jeden Fall freute es Peter, dass endlich mal jemand für einen Posten in der Sicherheit vorsprach. Dann hätte er nicht immer die ganze Arbeit alleine am Hals, sondern konnte einen Teil einfach weiterreichen. Doch, das war eindeutig positiv. Der Tag konnte doch noch gut werden.

"Mein Name ist Peter Tarson. Ich bin der Sicherheitschef der Ivory", sagte er jetzt schon in einem etwas freundlicherem Ton als vorhin am Interkom. Auch wenn es der Begriff "freundlich" immer noch nicht hundertprozentig traf.

"Wenn Sie hier für einen Job vorsprechen wollen, dann müssen Sie das beim Captain machen. Ich werde Sie hinbegleiten", sagte er dann und machte eine einladende Geste. "Folgen Sie mir."

Er machte einen Schritt zur Seite und ließ Daniel eintreten. Automatisch schloss sich zischend die Schleuse.

--- Krankenstation

"So, nu ist alles wieder in Ordnung", lächelte Megan und begutachtete die neue Sortierung der Instrumente.

'Nun kann es zum Captain gehen. Wenn ich hier nicht wegkomme, was ich allerdings nicht hoffe, kann ich mir wenigstens keine Vorwürfe machen, die schöne Krankenstation so hinterlassen zu haben.' Langsam wieder fröhlicher gesinnt ging Megan auf den Gang.

--- Gang vor der Krankenstation

Als Megan aus der Krankenstation trat, waren noch Lestat und Rekelen da.

'Dann muss der Lärm vorhin diese Miss Twillan gewesen sein. So etwas Dramatisches scheint typisch für sie zu sein. Dann ist es ja auch kein Wunder, wenn sie mal einfach so zusammenbricht, bei dem Stress, den die Frau sich machen muss', wunderte sich Megan.

Sie ging zu den beiden Verbliebenen.

"Ich denke, so kann ich die Krankenstation wieder hinterlassen." Sie blickte Lestat an und lächelte, "Lestat, nicht? Ich denke, ich habe mich noch nicht offiziell vorgestellt. Ich bin Megan Phearson. Freut mich."

Sie machte eine Pause.

"Ich möchte ja nicht aufdringlich klingen, Miss Nar, aber ich wollte mich eigentlich für eine Anstellung hier bewerben und ich würde auch gerne mit dem Captain darüber sprechen. Ist Miss Twillan schon vorgegangen? Sie scheint eine dramatische Art des Eintretens und Verlassens zu haben."

Megan runzelte ein wenig die Stirn. Sie hatte das Gefühl, die Arbeit hier würde nicht so leicht werden.

"Schön, Sie kennenzulernen. Gehe ich richtig in de Annahme, dass Sie sich um den Posten als Schiffsärztin bewerben wollen? Falls Sie den Job bekommen werden Sie mich wohl hin und wieder zu Gesicht bekommen – ich habe die dumme Angewohnheit, mir beim Reparieren von Dingen regelmäßig Verletzungen zuzuziehen. Naja, mit technischen Dingen kann ich nun mal besser umgehen als mit meinem eigenen Fleisch und Blut." Lestat grinste verlegen. "Ach ja, viel Glück beim Captain ..." Lestats Blick sprach Bände.

'Hmm, das wird so eine Crew werden ... als was diese Miss Twillan sich wohl bewerben will? Bei ihrer Verfassung hoffentlich nicht bei der Sicherheit.' Lestat zweifelte nicht daran, dass dieser Trip mit dieser Besatzung seine wirklichen Tücken wohl erst zeigen würde, wenn sie abgelegt hätten und es zu spät war, Problemfälle wieder loszuwerden, wenn man mal von der Luftschleuse absah.

--- Gänge

Langsam schritten beide schweigend zum nächstgelegenen Turbolift und Peter beobachtete aus den Augenwinkeln heraus den Neuen. Der war anscheinend überrascht über die Höhe der Gänge, doch das ging wahrscheinlich jedem so, der hierher kam.

Selbst Peter war beim ersten Mal verwundert darüber. Er wusste, dass andere Schiffe dieses Typs eine weit niedrigere Decke hatten. Anscheinend hatte das jemand geändert. Und er konnte sich beinahe denken, wer. Nicht, dass es ihn störte. Er fand es sogar überaus praktisch. Da er selber nicht gerade klein war, lief er so nicht Gefahr, sich irgendwo den Kopf zu stoßen. Es sei denn, er kam auf die hirnrissige Idee, durch irgendwelche Jeffriesröhren zu klettern. Aber dafür war ja die Technik zuständig.

--- Turbolift

"Brücke", befahl Peter dem Computer unwirsch.

"Aber sicher, mein Herzchen", antwortete dieser prompt, und Peter verdrehte die Augen. "Wie du weißt, bringe ich dich überall hin. Ich kann dich auch ins Holodeck bringen, wenn du möchtest. Dann können wir zwei ein nettes Picknick machen. Oder du ..."

Peter hörte nicht mehr zu. Stattdessen sagte er zu Daniel, während Zinda weiterhin von dem Picknick erzählte: "Das ist übrigens unser Bordcomputer. Er nennt sich selbst Zinda. Ich würde Ihnen raten, den Computer einfach zu ignorieren. Ist besser."

Daniel, der schon nach den ersten Worten des Computers an seinem Verstand zu zweifeln begann, wurde von den Worten Tarsons wieder in die Realität zurückgeholt.

'Der Computer hat 'nen absoluten Schatten', dachte sich Daniel kurz, bevor ein Rucken durch die Kabine ging und der Turbolift plötzlich stockte und gar nicht mehr so "Turbo-" im Schacht stecken blieb.

"Was war denn das? – Ich glaube, der Lift steckt fest." Daniel war plötzlich in eine Situation geraten, die ihm um einiges mehr zusagte, als jedes Bewerbungsgespräch es je getan hätte.

"Computer, was ist mit dem Turbolift passiert? Stecken wir fest oder was?" Daniel bereute schon, als er den Mund geschlossen hatte, überhaupt den Computer angesprochen zu haben, denn dieser antwortete sogleich mit seiner zuckersüßen Stimme.

"Hallo Daniel. Du vermutest richtig, ihr beiden Süßen steckt hier in meinem Turbolift fest und ihr könnt vorläufig nichts dagegen tun. Ich habe da eine Energieindifferenz festgestellt und musste den Turbolift sicherheitshalber anhalten. Ich konnte doch nicht zulassen, dass Ihr beiden irgendeiner Gefahr ausgesetzt werdet."

"Mist! Kannst du das Problem selbst lösen oder brauchen wir einen Techniker?", fragte Daniel den Computer, ehe er an Tarson gerichtet fortfuhr. "Haben Sie eigentlich schon einen Techniker an Bord?"

'Energieindifferenz?'

Sofort zog Peter seinen Tricorder vom Gürtel und scannte den die nahegelegenen Energieleitungen. Tatsächlich, da waren wirklich geringe Energieschwankungen. Doch eigentlich nichts Beunruhigendes. Die Werte lagen innerhalb der Toleranzschwäche. Also hätte der Lift eigentlich nicht stoppen dürfen.

'Dieser verdammte Computer spielt wieder Spielchen mit uns', dachte Peter und aktivierte die schiffsinterne Kommunikation.

"Tarson an Lestat. Kommen Sie sofort mit passendem Werkzeug zum Turbolift. Der Computer hat den Lift wegen Energieindifferenzen angehalten und verweigert nun die Weiterfahrt. Wir stecken gerade zwischen Deck 2 und 3. Beeilen Sie sich. Tarson Ende."

"Oh, noch ein Mann", ertönte wieder die Stimme von Zinda. "Dann können wir ein Gruppenpicknick machen."

'Oder Skat spielen', dachte er. Langsam hatte Peter genug von dieser Picknickplanerei.

"Ich hoffe, Mr Lestat beeilt sich", sagte er zu Daniel.

Daniel, der sich langsam wieder wohler fühlte in seiner Haut, sah Tarson an und versuchte, seine immer noch vorhandene Nervosität durch ein Gespräch etwas zu überspielen. "Solche Situationen wie diese kenne ich zur Genüge. Ich war viele Jahre lang bei Starfleet und auch einige Male während Kampfsituationen auf Schiffen ... da kann es schon mal passieren, dass man irgendwo feststeckt und dann nicht mehr rauskommt, bis man von jemandem Hilfe bekommt." Dann fragte er Tarson freundlich lächelnd: "Wie lange sind sie eigentlich schon hier auf diesem Schiff?"

'Schon viel zu lange', dachte Peter, doch das sagte er natürlich nicht. Stattdessen schritt er im kleinen Lift auf und ab.

Er war nervös. Zum einen deshalb, weil er mit diesem Neuen im Lift eingesperrt war. Zum anderen, weil er mal wieder feststellen musste, dass der Computer eindeutig zuviel Macht über sich und die Schiffssysteme hatte. Doch er hatte den Befehl, nichts daran zu ändern.

Auch wenn er es nicht verstand – er sollte sämtliche "Dinge" von Martengh aus dem System entfernen, doch diese Computerpersönlichkeit durfte er nicht anfassen. Auch wenn sie jedem ständig in die Quere kam.

"Ich bin seit ein paar Wochen hier auf dem Schiff", beantwortete er dann die Frage seines Gegenübers. "Ich bin mit Miss Monserat hierher gekommen."

Kurz schaute Peter auf die aktuelle Uhrzeit und fragte sich, wann dieser Lestat endlich hier auftauchte. Das konnte doch nicht so lange dauern.

"Wie sieht eigentlich Ihre berufliche Vergangenheit aus, wenn man das erfahren darf?"

"Natürlich dürfen sie das erfahren ..." Daniel fühlte sich, obwohl das Gespräch nun etwas Richtung Bewerbungsgespräch abdriftete, eigentlich noch ganz wohl dabei. "Immerhin möchte ich mich ja hier bewerben, und da haben sie ein gutes Recht darauf, zu wissen, was ihre Bewerber alles können. Also – ich war seit meiner Zeit auf der Starfleet Academy eigentlich immer bei der Sternenflotte. Mein erster Job war ein Posten bei der Sicherheit auf der U.S.S. Nairobi. Auf diesem Schiff bin ich mit 27 zum Sicherheitschef befördert worden.

Mit 32 wurde mir ein Posten als Leiter einer Spezialeinheit von Starfleet angeboten. Ich nahm den Job an und blieb dabei bis zu meiner Entlassung. Leider kann ich Ihnen über die Aufträge aus dieser Zeit nicht sehr viel erzählen, da das meiste davon der Geheimhaltung unterliegt. Während des Dominionkrieges hatten wir jedoch einige Aufträge, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ich habe meine gesamten Unterlagen dabei, wenn sie gerne einen Blick darauf werfen wollen." Daniel unterbrach seine Ausführungen und griff in seine Tasche, aus der er ein PADD herausholte, das er Tarson reichte.

'Hoffentlich fällt ihm nicht gleich die Stelle meiner Entlassung und die Zeit danach ins Auge', dachte sich Daniel und fühlte seine Chancen schwinden und seine Nervosität steigen. 'Ob ich meine Auszeichnungen hätte erwähnen sollen? Nein, da hätte er mich nur für einen Angeber gehalten, der mit seinen diversen Orden prahlen will. Wenn er wirklich Interesse hat, wird er meine Unterlagen lesen und dort alles finden.'

Daniel hoffte, dass seine Auszeichnungen und sein Können wenigstens dieses Mal über seine letzten drei Jahre hinwegtäuschen würden. 'Ob ich noch etwas sagen soll, oder ob er lieber meine Unterlagen ansehen will?' Daniel war sich wieder einmal unsicher – sehr unsicher.

'Spezialeinheit in der Föderation?' Peter pfiff innerlich. Er hatte schon einiges über die Spezialeinheiten gehört. Das waren normalerweise keine Anfänger, die in diesen Teams eingesetzt wurden. Und so einer bewarb sich auf der Ivory? Das verwunderte ihn doch ein wenig. Hatte Daniel nicht irgendetwas von einer Entlassung gesagt? Er aktivierte das PADD und begann zu lesen.

--- Gang vor der Krankenstation

Noch während Lestat auf die Antwort der Frauen wartete, meldete sich auch schon das interne Kommunikationssystem.

"Tarson an Lestat. Kommen Sie sofort mit passendem Werkzeug zum Turbolift. Der Computer hat den Lift wegen Energieindifferenzen angehalten und verweigert nun die Weiterfahrt. Wir stecken gerade zwischen Deck 2 und 3. Beeilen Sie sich. Tarson Ende."

"Bitte entschuldigen Sie mich, meine Damen, es sieht so aus, als würden meine Fähigkeiten gebraucht", meinte er daraufhin freundlich lächelnd, drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten, und ging in Richtung Turbolift davon.

'Was da wohl los ist, dass die mich jetzt schon brauchen, und das, bevor wir überhaupt abgeflogen sind?' Lestat war einmal mehr froh, die meisten seiner Werkzeuge immer am Mann zu haben – so musste er nun nicht zuerst in den Maschinenraum, um Werkzeug zu holen.

Rekelen sah dem Betazoiden kurz wohlwollend nach und wandte sich dann wieder an Megan. Auch eine nette Frau, wie es schien, und kompetent noch dazu. Immerhin hatte sie die Terranerin so schnell wieder auf die Beine gebracht, dass diese zu Wutanfällen fähig war und dazu, auf die Brücke zu rennen.

"Dann gehen wir jetzt am besten auch auf die Brücke", beschloss sie und wies der Frau den Weg in die richtige Richtung. Dabei fiel ihr auf, dass Shania einen völlig falschen Weg genommen hatte – nämlich erst zum Turbolift, was natürlich auch ging, aber nicht gerade viel Sinn machte, wo sich die Brücke doch auf demselben Deck befand. Sie jedenfalls würde laufen.

"Ja, Miss Twillan ist ... vorgegangen", erwiderte die Cardassianerin dann langsam auf die zurückliegende Frage von Megan und schüttelte den Kopf. "Eine komische Frau, finden sie nicht? Ich bin ihr noch nie zuvor begegnet, aber aus irgendeinem Grund scheint sie mich regelrecht zu hassen ..."

--- Gang vor der Turbolifttüre

Vor dem Turbolift blieb er an einer Konsole stehen und ermittelte zuerst einmal, wo sich der Lift genau befand. 'Hmm, er steckt zwischen Deck 3 und 4 fest. Mal sehen, ob ich da irgendwie von außen hinkomme.' Lestats Finger huschten über das Terminal, als er sich den schnellsten Weg durch die Jeffriesröhren suchte. 'Linker Gang, erste Luke, dann die Röhre entlang bis zur Leiter und runter ...' In seinen Gedanken formte sich noch der Aufbau des Schiffes und der Weg zum festgesetzten Turbolift, als Lestat auch schon unterwegs zur Einstiegsluke in das Röhrensystem des Schiffes war.

--- Brücke

Monserat schnappte bei Stalveys Worten nach Luft. Sie war bei Shanias Eintreffen aufgesprungen und regungslos stehen geblieben, während sie das Geschehen um sich herum beobachtete und sich Stück für Stück in einer langen Reihe anfügte, die sie schließlich zu dieser milden Reaktion veranlasste.

Wenn Monserats Bruder Gerald wütend wurde, wurde er laut. Francine hingegen war einen Großteil des Tages laut – wenn sie wütend war, wurde sie leise. Und jetzt hatte sie sogar ihre Stricksachen völlig vergessen.

Kleine, funkelnde Augen beäugten die am Boden sitzende Frau wie die eines Adlers, der seine Beute anvisierte, und huschten ab und zu hinüber zu diesem bodenlos frechen Burschen Stalvey, der es wagte, ihr vorzuschreiben, wie sie ihre Bewerbungsgespräche zu führen hatte und welche der am Bord befindlichen Personen das Recht auf Ruhe hatte ...

Monserat würde sich hüten, diese Personen einfach so an Bord herumspazieren zu lassen, nur damit Shania Twillan sich von einem Heulkrampf erholte. Die ältliche Frau neigte zwar dazu, der anderen ein gewisses Mitgefühl entgegenzubringen, konnte diese Attacke doch nur daher kommen, dass Shania gerade von Geralds Urlaub erfahren hatte und sie nicht zu ihm, ihrem ehemaligen Liebhaber wohl, zurückkonnte.

Nicht, dass die Terranerin für Gerald getaugt hätte. Er brauchte eine feste Hand, die ihn führte und schützte, kein hysterisches, kleines Mädchen.

Trotzdem wollte sie sie nicht einfach wieder von Bord werfen. Oh nein, sie würde sich erst mit ihr unterhalten und alles über Gerald herausfinden, was er ihr verschwiegen hatte. Da Peter jedoch unterwegs war – war dieser Mann je da, wenn man ihn brauchte?! –, Miss Nar jeden Augenblick mit neuen Bewerbern eintreffen würde und Shania offensichtlich panische Angst vor Charly hatte, blieben nur noch ein wenig vertrauenswürdiger Techniker und ...

"Aber bitte, natürlich, Sie haben völlig recht", erwiderte Francine mit einem süßen Lächeln und wies hinüber zu einer angrenzenden Tür. "Gehen Sie doch dort hinüber, in den Konferenzraum. Ich denke nicht, dass ich ihn in den nächsten Minuten benötigen werde.

Computer", sprach sie ohne eine größere Pause weiter und wartete nicht darauf, dass Zinda bestätigte. "Schalte die Überwachungsschirme der Brücke auf den Konferenzraum und zeichne alles auf, was dort geschieht. Nichts gegen Sie, junger Mann", wandte sie sich noch immer lächelnd an Stalvey. "Aber ich lasse nur ungern fremde Leute frei auf meinem Frachter herumlaufen."

Erst jetzt wurde Shania langsam bewusst, was für ein sonderbares Bild sie auf ihre Umgebung abgeben musste. Wahrscheinlich gönnte Francine ihr noch eine kurze Verschnaufpause, bevor sie ihre Cardassianerin anwies, sie endgültig von Bord zu werfen. Monserats Schwester Francine hatte kein Herz aus Gold, sondern sie war sehr berechnend und verfolgte ihre eigenen Ziele. Die Tatsache, dass sie den Überwachungsmonitor aktivierte, zeugte nicht von Misstrauen, sondern davon, dass sie sich etwas zu erfahren versprach.

Die Amerikanerin hatte auch keine Chance gehabt, sich hier bei jemand vorzustellen. Selbst der Mann vor ihr hatte nach seiner Vorstellung gleich weitergesprochen. Es schien, als würde niemand damit rechnen, dass sie noch ganz bei Sinnen war und ihren eigenen Namen wusste. Doch egal, was die Trill ihr gegeben hatte – der Schwindel war inzwischen verschwunden und sie fühlte sich nach dem Schock der Konfrontation mit dem Putzroboter wieder in der Lage, andere von ihrem gesunden Geisteszustand zu überzeugen.

Entschlossen trat sie einfach einen Schritt in Richtung Captainschair vor und wischte mit dem Ärmel über ihr Gesicht, um die Spuren ihrer Tränen zu beseitigen: "Mein Name ist Shania Twillan. Sie können von mir denken, was Sie wollen, aber ich würde Ihnen dringend ans Herz legen, nach dem Eintrag im Schiffstagebuch zu suchen, wo von dem 'Unfall' von Savannah Sheehan am Schiffshangar die Rede ist."

Für einen Moment blickte sie von der Französin zu Bill Stalvey, von dem sie nicht wusste, was sie von ihm zu halten hatte, aber ihren Wunsch, es zu ergründen, für den Augenblick zurückstellte. Francine würde nicht lange brauchen, um Luft zu holen. Wäre Gerald an ihrer Stelle, hätte er wohl schon zu brüllen begonnen.

"Es kann gut sein, dass Charly noch immer gefährlich ist ..." Shania verstummte. Sie nahm nicht an, dass Francine ihr Glauben schenken würde, bis sie es vom Schiffstagebuch mit Geralds eigenen Worten gehört hatte. Ohne ihre Antwort abzuwarten, schweifte ihr Blick zu Stalvey, der es anscheinend nicht erwarten konnte, sie zu untersuchen. Sie hoffte, dass er dabei nicht so aufdringlich war wie Dr. Rigero. "Von mir aus können wir jetzt in den Konferenzraum gehen."

Äußerlich versuchte sie einen gelassenen Eindruck zu wahren, doch ihre Hände zitterten verräterisch und sie ballte sie leicht zu Fäusten, damit es nicht weiter auffiel. Es war ihr sichtlich schwer gefallen, über dieses Ereignis zu sprechen, doch Leben standen auf dem Spiel und sie hatte nicht die Kraft, auch nur für eines davon die Verantwortung zu tragen.

"Gerne!" Ehe Bill Shania in den Konferenzraum der Ivory folgte, bedankte er sich noch bei Francine Monserat: "Vielen Dank, Captain! Ich hoffe, es geht Frau Twillan bald wieder besser. Ich stehe dann jederzeit für unser Bewerbungsgespräch zur Verfügung, wenn sich der Trubel hier wieder etwas gelegt hat." Er zog eine Augenbraue hoch und warf einen kurzen Blick auf eine schon wieder aufs Neue heulende Konsole.

Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem kaum vernehmbaren Zischen. Außer einem Standardreplikator hatte der Raum nicht viel mehr zu bieten als einen langen Tisch mit eingebauten Terminals und fest montierten Sitzmöglichkeiten, selbstverständlich in Sternenflotten-Einheitsgrau. 'Es ist doch überall das Gleiche', Dachte sich Bill. 'Hauptsache praktisch. Stil scheint irgendwann – vermutlich etwa im 21. Jahrhundert – verloren gegangen zu sein.'

"Naja, nicht gerade ein Hort der Erholung hier, aber besser als gar nichts. Setzen Sie sich doch. Ich hole mir noch ein Glas Wasser vom Replikator dort; darf ich Ihnen etwas mitbringen?"

Nachdenklich blickte Shania den Mann an ihrer Seite an. Glücklicherweise hatte er zumindest nicht versucht, sie wie ein rohes Ei zu behandeln und ihr seinen Arm und seinen männlichen Schutz angeboten. So fing es doch immer an mit ihnen, bevor sie wieder auf ihre treuherzigen und so gar unschuldigen Blicke hereinfiel.

Die Amerikanerin ärgerte sich über das, was sie fühlte, seit sie diesem Bill Stalvey in die Augen gesehen hatte, und versuchte, es zu verdrängen. "Wieso sich mit solchen Lappalien aufhalten? Kommen wir doch gleich zur Sache und fangen wir an. Genügt es, wenn ich dazu hier stehen bleibe, oder soll ich mich dazu hinlegen? Zur Not würde ja auch der Konferenztisch gehen. Ach, holen Sie doch einfach schon Ihr Ding raus."

Bill hielt auf seinem Marsch zum Replikator wie vom Blitz getroffen inne. Er machte eine deutlich schnellere Wendung, als seine Koordination und die Konsole des Replikators es zugelassen hätten.

"Nein! Ich ... autsch!" Bill rieb sich den Ellenbogen und sah Shania mit großen Augen an. "Aber der Cap..."

Der Blick, den sie für ihre Worte erntete war ratlos und verwirrt zugleich, also holte sie doch zu einer Erklärung aus: "Na, Sie wollen mich doch untersuchen ..." Seine Miene verzog sich plötzlich so, dass sie nach einem suchenden Blick über seinen Körper hinzufügte: "Sie haben doch hoffentlich Ihren medizinischen Tricorder dabei. Sagen Sie bloß nicht, dass Sie noch die altmodische Art praktizieren und ich mich ausziehen muss ..."

Seltsamerweise wurde ihr bei dem Gedanken, seine Hände auf ihrer Haut zu spüren, ganz anders, besonders, da er für einen Mann ungewöhnlich sanfte Hände zu besitzen schien, die so gar nicht von schwerer körperlicher Arbeit zeugten. Ohne es verhindern zu können, schoss ihr plötzlich die Röte ins Gesicht.

"Oh! Nein, das wird nicht mögl... nötig sein." Bill drehte sich schnell wieder zum Replikator um, da er deutlich spüren konnte, wie das Blut in seinen Kopf stieg – er fürchtete allerdings, dass es schon zu spät war, um das zu verbergen.

"Computer! Bitte ein Glas Wasser."

Die Antwort folgte prompt: "Aber sicher, Spazi!"

Bill musste heftig husten und ging vom Reiben seines Ellenbogens kurzzeitig zum Klopfen auf seinen Brustkorb über. "Du meine Güte. Also der Programmierer dieses Bordcomputers muss ja ..." Er vollendete den Satz nicht, sondern nahm sein Glas aus dem Gerät und steuerte wieder auf den Besprechungstisch zu. "Wasser ist finde ich das einzige, was diese Geräte anständig hinbekommen. Alles andere schmeckt ja doch irgendwie künstlich. Ach so, ja, nein, ich untersuche normalerweise nicht mit derartigen Methoden. Aber wir sind ja hier auch nicht in meinem Revier und ich beabsichtige im Augenblick auch nicht, hier irgendwelche Sitzungen zu halten. Also lassen Sie uns doch einfach nur einen Moment von dem Schrecken da drinnen erholen. Ich wollte mich eigentlich um einen freien Job auf der Ivory bewerben – Sie 'gehören' zu diesem Schiff?"

Shania war so verwundert, dass sie einfach einen der Sessel ergriff und wortlos Platz nahm. Dieser Arzt benahm sich mehr als eigenartig, in seiner Körpersprache und in seinen Worten. Anscheinend war sein Problem nicht die Schüchternheit seiner Patienten, sondern seine eigene. Stottern sehen hatte sie zumindest bis jetzt noch keinen. Schon gar nicht Rigero, als er ihr ...

"Wie man's nimmt", antwortete die große Amerikanerin unschlüssig, da sie es selbst nicht wusste. "Ich habe jahrelang auf der Ivory gearbeitet. Doch nicht unter ... diesem Kommando. Deshalb weiß ich nicht mal, ob es ein Pech oder sogar Glück wäre, wenn ich hier nicht willkommen bin." Sie zuckte mit den Schultern um ihre Worte zu unterstreichen und begreiflich zu machen, dass es sie nicht wirklich interessierte. Auch wenn sie nicht wusste, wohin sie dann noch gehen konnte.

Wieder ertappte sich Shania dabei, wie sie diesen Stalvey eingehend musterte. Sein Körper schien durchaus sportlich zu sein. Trotz der angenehmen Temperatur an Bord schien er ein stark gerötetes Gesicht zu besitzen. Dabei fiel ihr ein, dass sie auch eines haben musste, nach ihren heißen Wangen zu schließen, aber aus einem ganz anderen Grund als er, und sie blickte auf die glatte Oberfläche des Tisches, als hätte sie nie ein größeres Wunderwerk an Handwerkskunst gesehen.

Was für ein Glück, dass er kein Betazoide war.

Am besten würde es sein, wenn sie ein unverfängliches Thema anschnitt, um von ihrer eigenen Nervosität abzulenken und zu erfahren, was er von ihr wollte. "Wie meinen Sie das: Sie befinden sich hier nicht in Ihrem Revier? Was ist das für eine Untersuchungsmethode, sich in einen abgeschiedenen Raum zu begeben und miteinander zu sprechen?" Ihre grünen Augen blickten ihn fragend an, während sie versuchte, einige vorwitzige Strähnchen aus ihrer Stirn zu vertreiben.

Bill blieb an der gegenüberliegenden Seite des Tisches stehen, nippte an seinem Glas und legte den Kopf etwas schräg.

"Nun, ich möchte mich auf der Ivory als Bordpsychologe bewerben." Er beobachtete Shanias Reaktion. "In dieser Position nutze ich meinen Tricorder ehrlich gesagt höchstens, um meinen Terminplan zu bearbeiten oder ein paar Notizen aufzunehmen."

Bill machte eine entschuldigende Handbewegung. "Ich hoffe Sie denken jetzt nicht, dass das hier eine Therapie werden soll, oder so. Leider ist das oft das erste, was Leute von einem Psychologen denken. Berufsrisiko, sozusagen."

Bill wollte noch einen weiteren Schluck Wasser nehmen und führte das Glas zum Mund ...

--- Flashback

Dunkelheit und Schmerz umgaben ihn. Er war sich nicht sicher, ob der Schmerz alle Wahrnehmungen verdrängte, oder die Dunkelheit auch alle anderen Sinne benebelte.

Wärme – Hitze! Nacheinander verlor er den einen Arm, die Beine, alles – nein, nur die Wahrnehmung von allem, was sein Körper gewesen war. Oder er gewann es wieder, oder gewann es neu? Er wusste es nicht. Er wusste nichts. Er wusste weniger als nichts. Wahrnehmung ohne Bedeutung. Was hatte überhaupt Bedeutung?

Die Schwärze machte einer anderen Farbe Platz. Er versuchte, diese Farbe einzuordnen, während sie wieder zurückgedrängt wurde – nein – Formen annahm. Formen, die sich einer Deutung widersetzten.

Geräusche. Klänge, nein, Stimmen. Eine rote Kapuze zog sich langsam zurück und reihte sich in einer Gruppe gleicher roter Formen ein.

"Bitte ... nein!"

Schmerz. Dunkelheit. Nichts.

--- Konferenzraum

Bill brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, wann in der Zeit er sich befand. Hatte er gerade laut gesprochen? Er konnte es nicht sagen. Erst jetzt bemerkte er, dass er etwas Wasser über einem grauen Tisch verschüttet hatte. Einem sternenflottengrauen Tisch, dem Tisch auf der Ivory. Bill sackte mehr auf dem Hocker zusammen, als das er sich setzte.

"Entschuldigung, ich ..." Er wischte unbeholfen an dem Wasserfleck herum.

--- Jeffriesröhren

Lestat kroch so schnell er konnte durch die Röhren und erreichte knapp zwei Minuten später den Bereich, an dem sich die Luke zum Turboliftschacht befinden sollte. 'Wo ist das blöde Ding', fragte er sich verzweifelt, als er die Luke nicht sofort entdecken konnte. 'Ahh, da hinten ist sie ... interessanter Öffnungsmechanismus. Muss ich mir bei Gelegenheit mal näher anschauen.' Lestats Technikerseele war wieder voll in ihrem Element, als er die Luke öffnete, in den Schacht hineinsah und die Liftkabine etwa anderthalb Meter unter sich entdeckte. Einige Augenblicke später hatte er auch schon seinen Technoscan in der Hand und prüfte alle Energieleitungen in der Nähe.

'Komisch, hier sieht eigentlich alles ganz normal aus. Keinerlei Indifferenzen oder Schwankungen in den Energieleitungen.'

"Computer, bitte um genaue Fehlerspezifikation der Störung des Turbolifts."

"Hallo, mein Süßer, was machst du denn da in meinen Eingeweiden? Eine Fehlerspezifikation? Es gibt keine Fehler, der Turbolift funktioniert prächtig. Aber du solltest nicht so daliegen; wenn du deinen Kopf nicht einziehst, kann es sein, dass der Turbolift ihn dir einfach abtrennt, und das wäre wirklich schade um diesen schönen Kopf", flirtete Zinda drauflos.

Lestat ließ sich von Zinda jedoch nicht beirren und brüllte in den Schacht: "Hallo, können Sie mich hören? Ich bin nun knapp oberhalb Ihrer Position und kann keinen Fehler finden. Zinda ... ähh, ich meine, der Computer meint auch, es gäbe keine Störung." Danach lauschte Lestat angestrengt in den Schacht und wartete auf Antwort der beiden Eingeschlossenen. 'Nur blöd, dass ich keinen Kommunikator hab – jetzt muss ich hier rumschreien.'

--- Sternbasis 375, Arboretum

Ashoks schmale Gestalt zeichnete sich gegen die Form des Sternnebels ab, der aus unendlicher Entfernung sein fahles Licht durch die riesigen Panoramafenster des Landschaftsdecks der Sternbasis warf. Der Inder stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen still und schweigend vor dem Fenster, während er mit den Augen das ewige Naturschauspiel des Weltalls in sich aufnahm.

Einer der hellen Punkte nahe dem linken Rand seines Blickfelds musste wohl die Sonne sein, in deren Planetensystem die Erde kreiste – mit Milliarden von Menschen, die ihm alle nichts bedeuteten; so wenig wie die Millionen der Heimatstadt seiner Kindheit, Kalkutta, und seine Eltern und älteren Geschwister, die er vor Jahren dort nachts und alleine verlassen hatte, um sein Glück in der Weite des Weltraums zu suchen. Und seine kleine Schwester, die mittlerweile vielleicht einen Freund hatte oder einen Mann, vielleicht eine Familie gegründet hatte und glücklich war ...

Ashok seufzte tief und riss gewaltsam seine Gedanken aus der Vergangenheit zurück zu den Problemen der Gegenwart. Unruhig ging der junge Mann einige Schritte entlang des breiten Wegs zwischen der Fensterfront und den im leichten Wind der Klimatisierung leise rauschenden Bäumen entlang, bevor er erneut innehielt, die Augen schloss und die Ereignisse der letzten Stunden reflektierte und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.

Zuerst war ihm da diese wunderschöne Frau im Gang begegnet, als er gerade auf der Suche nach neuer Heuer vom Andockring der Station zurück zu den Turbolifts gegangen und ins Grübeln versunken gewesen war. Sie hatte ihm ohne Grund ein strahlendes Lächeln geschenkt, als er aufblickte; doch als er ihr Lächeln zaghaft erwidern wollte, war sie bereits an ihm vorbeigerauscht. Er hatte sich umgeblickt, vermutend, dass das Lächeln einer Person hinter ihm gegolten hatte, aber da war niemand. Er wollte ihr nachlaufen und sie ansprechen, aber schüttelte dann den Kopf und ging nachdenklich seinen ursprünglichen Weg weiter.

Vor dem Turbolift hatte sich eine kurze Schlange gebildet, als Leute darauf warteten, Fuhrenweise zum Promenadendeck gekarrt zu werden, um dort ihre letzten übrigen Credits in Unterkunft oder Alkohol anzulegen. Ashok hatte sich eingereiht und geistesabwesend seinen Blick über die heruntergekommene Umgebung schweifen lassen, als er einen plötzlichen Entschluss gefasst hatte und mit einer unvermittelten Bewegung aus der Schlange ausbrach, sich an den Wartenden vorbeidrängte und den Gang wieder hinunterlief, die halblaut geäußerten Beschimpfungen und Flüche der Leute am Turbolift hinter sich lassend.

Die Frau war nirgends zu sehen gewesen. Der junge Inder war an den Andockstellen entlang gehastet, in jeden Schleusenkorridor einen Blick werfend, bis er sie endlich erspäht hatte. Sie sprach gerade mit einer Person, die sich in der offenen Schleuse befand. Ashok war zu weit entfernt gewesen, als dass er das Gespräch hätte mitverfolgen können; so begab er sich in eine von einigen herrenlosen Kisten verstellte Ecke, die ihm Sichtschutz gab, und beobachtete die Szene aus seinem Versteck. Er hatte die Spannung zwischen der Frau und der anderen Person förmlich spüren können, als er das stumme Schauspiel ihrer Diskussion betrachtete.

Dann war die junge Frau plötzlich ohne erkennbaren Grund zusammengeklappt. Während Ashok mit offenem Mund zum Schauplatz des Geschehens gestarrt hatte, hatte sich der Körper der Frau im Strahl eines Transporters aufgelöst und war verschwunden.

Wie vom Donner gerührt war der junge Inder für einige Augenblicke unfähig gewesen, etwas zu denken oder sich zu rühren. Als er sich endlich hatte aus seiner Starre lösen können, war er statt zum Promenadendeck zum von Leuten weitgehend verwaisten Landschaftsdeck gefahren, um nachdenken zu können. Da stand er nun, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt, und versuchte, Sinn in das Erlebte zu bringen.

Wilde Gedanken kreisten in seinem Kopf. War die junge Frau getötet worden? Hatte man sie in einen Hinterhalt gelockt und außer Gefecht gesetzt, um sie zu entführen? War sie einem alten Feind begegnet, der sie nun in seiner Gewalt hatte? Ashok lief unruhig hin und her; egal, ob das Lächeln ihm gegolten hatte, er hatte gesehen, was geschehen war, und musste ihr helfen. Niemand vom Sicherheitspersonal hier auf der Station würde einen Hehl auf das Leben oder die Sicherheit einer Unbekannten geben. Es lag allein an ihm, ihr zu helfen, wenn er konnte.

Ashok starrte durch das große Fenster und fasst einen grimmigen Entschluss. Er würde dieser Sache auf den Grund gehen, koste es, was es wolle. Er war ohnehin auf dieser gottverlassenen Station am Ende des Nirgendwo gestrandet, und niemand nahm einen Absolventen in extraterrestrischer Physik für voll genug, um ihm eine Stelle im Wissenschaftsstab eines der angedockten Schiffe anzubieten. Er würde dieser Frau helfen – doch dafür brauchte er zunächst etwas Ausrüstung. Der junge Mann drehte sich um und ging mit entschlossenem Schritt in Richtung Turbolift, der zurück zum Promenadendeck führte.

--- Sternbasis 375, vor der Schleuse der Ivory

Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte sich Ashok, dass die Luft rein war, bevor er sich der Schleuse näherte. Kurz zuvor erst hatte ein anderer europäisch wirkender Mann nach kurzer Diskussion das Schiff betreten.

Der junge Mann ging sehr vorsichtig auf die Schleusentür zu und betrachtete eingehend die Konsole, die sich daneben befand. Dann zog er aus der kleinen Tasche, die er bei sich trug, einen flachen Schraubenzieher und begann behutsam, eine der Abdeckplatten unter dem Display zu lösen. Hinter der Platte wanden sich dicke Stränge ineinander verwundener, teilweise im trüben Dämmerlicht sanft pulsierender elektrischer Verbindungen und Lichtleiter, die offenbar zur in der Schleusenwand eingelassenen Konsole führten.

Ashok blickte kurz kritisch auf das Konstrukt vor sich, zuckte dann mit den Schultern und entnahm seiner Tasche ein kleines Gerät mit einigen Knöpfen und einer digitalen Anzeige, das er forsch gegen einen der Kabelstränge hielt. Das Gerät gab ein leises monotones Piepen von sich, und auf seinem Display blinkte eine Meldung. Der junge Inder verzog leicht den Mund und drückte es fester gegen den Strang, was das Gerät mit einem bestätigenden Signalton quittierte und begann, eine lange Reihe von Zahlen auf der Anzeigezeile durchlaufen zu lassen.

Auf die Züge des jungen Mannes schlich sich ein Ausdruck vorsichtiger Zufriedenheit. Er wartete eine kurze Weile und setzte dann das Gerät an einen anderen Strang, als aus dem offenen Kabelschacht plötzlich ein laut knackendes Geräusch drang und ein leicht verschmorter Geruch den Schleusenraum füllte.

Erschrocken sprang Ashok aus seiner halb hockenden Haltung auf die Beine und ging ein paar Schritte zurück, als ein leichtes Wabern in der Luft um genau die Stelle vor der Konsole, an der er sich eben noch befunden hatte, die Präsenz eines Kraftfelds anzeigte, das sich in einem vertikalen Zylinder von etwa einer Armlänge Durchmesser vom Boden zur Decke erstreckte. Ashoks mitgebrachte Stofftasche befand sich zur Hälfte innerhalb, zur Hälfte außerhalb des Zylinders.

Mit schreckgeweiteten Augen sah der junge Mann, wie sich vom Zentrum des Zylinderinneren ein zunächst rotes, dann immer heller werdendes Gleißen in den engen Grenzen des Kraftfelds ausbreitete, bis er seine Augen von der Helligkeit abwenden musste. Hitzestrahlung erreichte selbst durch das Kraftfeld seinen Körper und ließ ihn noch einige weitere Schritte zurückweichen. Dann ließ die Hitze und die Helligkeit plötzlich nach. Als Ashok die schützend erhobene Hand sinken ließ, sah er nur noch, wie eine rauchende Hälfte seiner Tasche zur Seite sank und nur noch ein schwarzer Fleck am Boden die Stelle markierte, an der er vor einer Minute noch versucht hatte, die Schleuse zu knacken.

Das kleine piepsende Gerät, das er noch immer in seiner Rechten hielt, fiel polternd zu Boden, während Ashok vor Schreck gelähmt vor der Schleuse der Ivory stand.

--- Konferenzraum

Ohne etwas zu sagen, legte sich Shanias Hand mitfühlend auf die seine und verhinderte, dass er den Fleck noch vergrößerte, ohne ein Tuch für seine Aktion zu verwenden. Ihre Blicke trafen sich augenblicklich, und er stellte seine vergeblichen Bemühungen ein.

Langsam hatte sie das Gefühl, dass ihr Gegenüber mehr Hilfe nötig hatte als sie. Die Tatsache, dass sie sich fast gutgläubig vor einem Bordpsychologen ausgezogen hatte, war verwirrend. Vielleicht hätte er es sogar zugelassen, wenn Francine nicht alles über den Monitor mitverfolgen konnte. Zum Glück nur in Bild und nicht in Ton, wie es früher von Martenghs Quartier aus möglich war.

Doch das war im Augenblick nicht wichtig. Viel mehr zählte, dass dieser Mann ein Problem hatte und sie aus einem unerfindlichen Grund mehr für ihn empfand als für einen Fremden. Denn näher standen sie sich nicht.

Stalveys Hilfeschrei hatte sie in der Seele geschmerzt, doch in seinen Augen hatte sie nicht nur tiefen Schmerz gesehen, sondern auch gelesen, dass er aus einer Zeit stammte, an der man nichts mehr ändern konnte. Was geschehen war, war geschehen.

"Ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber sagen Sie mir, wenn ich Ihnen helfen kann. Es ist noch nicht lange her, da hätte auch ich jemand gebraucht, doch alles was ich hatte, war eine ärztliche Standardversorgung der Sternenflotte. Die Wunden sind verheilt, aber die Narben in der Seele sind geblieben und schmerzen noch immer. Wahrscheinlich werden sie das auch immer tun. Die Vergangenheit kann man hinter sich lassen, aber nicht auslöschen." Nachdenklich blickte sie ihn an.

Erst jetzt wurde ihr der direkte Körperkontakt zwischen ihnen bewusst, der noch immer bestand. Seine Hand fühlte sich warm und angenehm an. Einer inneren Eingebung folgend zog sie die Hand nicht zurück und ließ sie auf seiner liegen.

Bill war sich selbst keineswegs sicher, was eben passiert war. Es war ihm wie Stunden vorgekommen, seit er vom Replikator zurückgekehrt war, so vieles hatte sich inzwischen geändert. Offenbar hatte es sich aber nur um wenige Sekunden gehandelt, die tatsächlich vergangen waren.

Etwas Derartiges war dem Psychologen bisher noch nie passiert. Er hatte keinerlei Erinnerung daran, sich gesetzt zu haben. Einige Puzzleteile über seine momentane Situation fügten sich immer noch nur widerwillig zusammen. Dafür drang alles, was er soeben gefühlt hatte, umso stärker in sein Bewusstsein ein.

"Ich glaube, ich hatte wohl gerade einen kleinen ... Aussetzer." Bill wollte seine Verwirrung mit einer kurzen Handbewegung unterstreichen und bemerkte erst jetzt Shanias Hand auf der seinen. Die junge Frau hatte auf ihn eine Wirkung, die er sich nicht genau erklären konnte. Erst war er ihr auf dieses Schiff gefolgt, während sie offenbar ohnmächtig gewesen war, dann war sie in völlig aufgelöstem Zustand im Lift aufgetaucht. Und jetzt war er scheinbar derjenige, der froh war, dass sie da war – einfach nur hier war und ihre Hand auf seine gelegt hatte. Er bewegte seine nicht.

"Bevor ich auf die Ivory kam, hatte ich einen kleinen Unfall mit einer Stasiskammer. Man könnte sagen, dass ich in der letzten Woche dadurch plötzlich neun Monate älter geworden bin. Die Ärzte haben zwar gemeint, dass ich vielleicht dadurch noch die ein oder andere Kreislaufschwäche zu erwarten hätte, aber das – das war alles so ... real!"

Er kratzte sich mit seiner freien Hand unter dem Kinn. Sein Andenken an die gescheiterte Verhandlung mit diesem Klingonen war praktisch nicht mehr zu spüren. 'Naja, die Verletzung hat ja auch neun Monate Zeit gehabt, zu verheilen.'

"So gesehen ist meine Vergangenheit tatsächlich für einige Zeit unwiederbringlich ausgelöscht." Bill sah zum ersten Mal auf, seit er sich auf dem Stuhl im Konferenzraum wiedergefunden hatte, und lächelte Shania etwas unbeholfen an. Ihre grünen Augen kamen ihm plötzlich wie ein Spiegel vor. Er merkt gar nicht, dass er sie duzte. "Ja, du hast recht. Die Situation ist für nicht etwas ungewohnt, normalerweise helfe ich anderen mit so etwas klarzukommen. Und jetzt bin ich so völlig ... hilflos."

Ein Aussetzer. So nannten es wohl Psychologen, wenn der menschliche Geist nicht mit seinem Körper konform ging. Shania dachte darüber nach und kam zu dem Entschluss, dass die Tage hilflos eingezwängt unter dem Pfeiler der Maquisbasis, bei denen sie nicht wusste, wo die Realität aufhörte und der Traum begann, wohl für Stalvey auch nichts anderes als ein Aussetzer gewesen wären.

Dabei spürte sie ganz genau, dass es diesen Kontakt mit der Urmasse des Universums gegeben hatte, bevor man es wieder geschafft hatte, ihren Geist mit dem Körper zu vereinen. Aber sie machte erst gar nicht den Versuch, es ihm zu erklären. Wahrscheinlich hätte es nur seine berufliche Neugier geweckt.

"Ärzte können nichts weiter feststellen als ob ein Organismus krank ist, noch lebt, schon tot ist oder wieder ins Leben zurückgeholt werden kann. Niemand weiß wirklich, was mit dem Geist passiert. Wo ist der Unterschied zwischen virtuellem Schmerz und realem? Wo hört der eine auf und beginnt der andere?" Für einen Moment verlor sich Shania bei den Gedanken an all die Schmerzen, die sie schon am Holodeck ausgestanden hatte und die in Wirklichkeit nur in ihrem Kopf existiert hatten.

Sie alle waren auf ihre Weise real gewesen und zu einem Teil ihrer Erinnerung geworden.

"Real ist, was für unseren Geist real ist. Schmerz ist immer sehr real. Nicht alle Auswirkungen müssen aber den Körper selbst betreffen." Unwillkürlich wartete sie darauf, dass sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten, aber es schien, als wäre die Zeit der Aufgabe vorbei. Stalvey mochte es nicht wissen, doch seine Schwäche gab ihr die Stärke. Wenn sie es schaffte, irgendwie bei ihm zu sein, dann würde sie lernen, mit den neuen Gegebenheiten zu leben – dass sie ihr Leben lang an falsche Dinge geglaubt hatte und nun noch einmal von ganz vorne anfangen musste.

Dabei trug sie noch immer die Last der schlechten Erfahrungen auf ihren Schultern, die sie eigentlich schon längst glauben machen wollte, dass der Psychologe nur ein Spiel mit ihr spielte, damit sie sich ihm offenbarte und ihr Seelenleben vor ihm ausbreitete. Doch ihre Gefühle, für die sie keine Erklärung fand, sprachen eindeutig dagegen. Und auch wenn sie schon oft damit reingefallen war, so traute sie wieder allein ihren Gefühlen.

Wie in Gedanken streichelte Shania behutsam über die Hand des Psychologen, ohne es überhaupt zu bemerken. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er sie geduzt hatte. Doch statt ihn darauf hinzuweisen und die aufkeimende Intimität des Augenblicks zwischen ihnen zu zerstören, nahm sie sein Angebot einfach an. "Vielleicht könnten wir uns ja gegenseitig helfen", meinte sie nachdenklich. "Vorausgesetzt, wir schaffen es beide hier an Bord bleiben zu können ... dir fehlt ein Stück Vergangenheit, ich wünschte, ich könnte die meine auslöschen ..."

Das folgende kurze Schweigen wurde von der Stimme des Bordcomputers durchbrochen, die allerdings deutlich kühler war als bei Bills Bestellung am Replikator: "Na, du lernst wohl auch nie aus, Schätzchen – oder? Du brichst doch schon hysterisch zusammen, wenn Charly am anderen Ende des Ganges vorbeirollt. Nein? Na dann ... Charly! CHARLY! Wolltest du nicht den Konferenzraum putzen? Wir schaffen das schon alleine – was, Billy?"

Bill war vom Eingriff des Bordcomputers derart überrascht, dass er erst keinen Ton herausbrachte und dann nur fragte: "Hat ... hat dieses – Ding – das öfter?"

Shania zog augenblicklich ihre Hand zurück, als hätte sie sich an Stalveys Hand verbrannt. Vielleicht war es ja gut so, dass die Persönlichkeit des Schiffscomputers sie gerade jetzt daran erinnert hatte, wer sie war und dass sie nie lernte, damit umzugehen.

Ohne ein Wort der Erklärung stand sie einfach auf und trat an eines der Aussichtsfenster, wo ihr Blick sich in der Dunkelheit und den unzähligen Sternen verlor, die vor ihren Augen leicht verschwammen.

Sie war ein Nichts, ein Niemand dort draußen. Doch sie war es auch hier auf dem Schiff. Eine Versagerin, die immer auf der falschen Seite stand und von Dingen träumte, die in Wirklichkeit nicht existierten.

" Er hat irgendwie eine eigene Persönlichkeit entwickelt, wenn es das ist, was Sie interessiert. Einmal hatte er schon das Holodeck unter Kontrolle. Monserat ... ich meine, Gerald wollte ihn trotzdem nicht ersetzen. Ebenso wie Charly, nehme ich an. Vielleicht kehren wir von dieser Reise nie mehr zurück.

Aber es ist egal. So egal ..."

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